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19. Mai 2012. Interviews: Bangladesch - Wirtschaft & Soziales Unverständnis und Ablehnung

Wichtige Grundrechte bleiben Hijras versagt

Im Gespräch mit NETZ berichtet Pinky Sarker, Geschäftsführerin der Badhan Hijra Sangha, über die Situation von Hijras in Bangladesch. Die Organisation mit Sitz in Dhaka ist eine der wenigen, die sich dafür einsetzt, das öffentliche Bewusstsein für Hijras zu stärken und auf Probleme der Transgender-Gemeinschaft aufmerksam zu machen.

NETZ: In Südasien findet man Hijras oft in gesellschaftliche Nischen gedrängt, in denen sie mehr oder weniger akzeptiert werden. Wie steht es um die Wahrnehmung des so genannten "dritten Geschlechts" in Bangladesch?

Pinky Sarker: Die meisten Menschen in Bangladesch haben große Probleme Hijras zu akzeptieren. Bereits im familiären Umfeld werden Transgender mit Unverständnis und Ablehnung konfrontiert. Die sexuelle Identität ihres eigenen Kindes wird von Vater und Mutter nur in den seltensten Fällen toleriert, jedoch so gut wie nie respektiert. Eltern empfinden Scham, fühlen sich in ihrer Ehre verletzt und haben zudem Angst vor dem Druck der Öffentlichkeit. Die Ablehnung der Hijra-Gemeinschaft kann schließlich in der gesamten Gesellschaft beobachtet werden.

NETZ: Wie groß ist die Hijra-Gemeinschaft in Bangladesch?

Sarker: Offizielle Angaben gibt es nicht, lediglich Schätzungen nach denen sich die Zahl auf etwa 50.000 Personen beläuft. Davon leben etwa 15.000 bis 20.000 Hijras auf dem Land, der Rest in Städten. In Dhaka leben etwa 10.000 Hijras. Oftmals dienen Städte als neues Zuhause, wenn sich die Familie von den Betroffenen lossagt. Eine Landflucht lässt sich durchaus beobachten. Die großen Städte bieten mehr Anonymität und damit etwas mehr Schutz vor offener Diskriminierung.

Hijras Infokasten Oberstrich
In südasiatischen Gesellschaften wird unter Hijra ein drittes Geschlecht verstanden, das weder einer typisch männlichen noch einer explizit weiblichen Identität entspricht. Hijras werden oft vereinfacht als Eunuchen, Transsexuelle oder Transvestiten wahrgenommen. Der Begriff Transgender wird als geläufige Bezeichnung verwendet. Tatsächlich handelt es sich in vielen Fällen um Menschen mit männlichen Geschlechtsmerkmalen, die im Zuge ihrer Entwicklung ein traditionelles Kastrationsritual unterlaufen. In einigen Fällen lassen sich die angeborenen Geschlechtsmerkmale von Hijras aber nicht eindeutig als männlich oder weiblich einordnen. Folglich schafft das Selbstverständnis von Hijras eine ganz eigene Kategorie sexueller Identität und grenzt diese explizit von "männlich" und "weiblich" ab. Hijras haben eine lange Tradition in Südasien. Sie spielen vor allem in der hinduistischen Mythologie eine wichtige Rolle. Foto: NETZ Bangladesch-Zeitschrift

NETZ: Wie äußert sich der von Ihnen zuvor angesprochene öffentliche Druck und von welchen Formen der Diskriminierung kann man sprechen?

Sarker: Solange eine Hijra bei der Familie wohnt, ist es für die Eltern fast unmöglich die anderen Geschwister zu verheiraten. Abgesehen davon gibt es eine Vielzahl an Problemen und Einschränkungen. So ist es ihnen beispielsweise nicht gestattet, einen Sitzplatz neben anderen Frauen oder Männern zu nutzen, sei es in einem Bus oder einem Wartezimmer. Kaum eine Bank gewährt es Hijras ein Konto zu führen, eine eigene Wohnung zu mieten wird von Hausbesitzern fast nie erlaubt. Die Nichtanerkennung durch die Verfassung stellt ein wesentliches praktisches Problem dar. Das öffentliche Empfinden widerspiegelnd besteht die Gesellschaft auch dem Gesetz nach nur aus zwei Geschlechtern: Frau und Mann.

NETZ: Sie beschreiben erhebliche Einschränkungen, die sich unmittelbar auf die persönliche Freiheit auswirken. Welche Folgen ergeben sich daraus?

Sarker: Da der Staat bestimmte Menschen nicht als vollwertige Bürger akzeptiert, werden ihnen wichtige Grundrechte nicht zugestanden. Weder bekommen sie einen Personalausweis, noch eine Wahlkarte. Von staatlicher Unterstützung ganz zu schweigen. Diese Formen von Diskriminierung drängen Hijras an den Rand der Gesellschaft und isolieren sie. Die Frage ist aber: Wie kann man sich aus dieser Situation befreien? Die Möglichkeiten sind stark eingeschränkt, denn die Ausgrenzung beginnt bereits während der Jugend.

NETZ: Sie sprechen vom Recht auf Bildung?

Sarker: Ja, an dieser Stelle wird die Exklusion von Transgendern besonders deutlich. Sobald ihre sexuelle Identität im Jugendalter auch äußerlich deutlich wird, beginnt die Stigmatisierung von Hijras. Sie dürfen nicht mit anderen Kindern lernen und werden deshalb in der Regel nach der Grundschule aus dem Bildungssystem ausgeschlossen. Sekundärbildung bleibt den meisten verwehrt. Die logische Folge ist unzureichendes Wissen, was zusammen mit den anderen Barrieren ein geregeltes Leben sehr schwer macht. Ohne familiären Rückhalt sind die meisten zudem auf sich allein gestellt. In manchen Fällen kann dieser psychische Druck auch drastische Ausmaße haben: Es gibt eine hohe Rate an Suizidversuchen unter Hijras in Bangladesch.

NETZ: Dennoch erfüllen Hijras auch Aufgaben innerhalb der Gesellschaft. Worum handelt es sich hierbei?

Sarker: Es gibt traditionelle Arbeiten von Hijras, die von der Gesellschaft geduldet und vergütet sind. Beispielhaft hierfür sind das Geldsammeln auf dem Markt und die Segnung Neugeborener. Insbesondere letzteres ist eine konventionelle Tätigkeit, bei der mehrere Hijras das Haus junger Eltern aufsuchen, um deren Baby zu segnen. Hijras spannen sozusagen Netzwerke in den Nachbarschaften über die sie von Geburten erfahren. In manchen Fällen werden sie von den jeweiligen Familien extra dazu gerufen. Die Segnung eines Babys kann in diesem Sinne sogar als soziale Funktion verstanden werden. Die Verdienste dieser Tätigkeiten reichen heutzutage dennoch kaum aus, um den Lebensunterhalt zu bestreiten.

Pinky Sarker
Pinky Sarker, Geschäftsführerin der Badhan Hijra Sangha, kritisiert, dass Hijras in Bangladesch nicht als vollwertige Menschen akzeptiert und ihnen Grundrechte versagt bleiben. Foto: Sven Wagner

NETZ: Wie bewerten sie folglich die Beziehung zwischen den Beiträgen für die Gesellschaft einerseits und der Exklusion von Hijras und entsprechende Repression andererseits?

Sarker: Das steht in keinem Verhältnis zueinander. Selbst im Rahmen dieser Tätigkeiten sind Hijras lediglich toleriert, aber nicht anerkannt. Viele Alternativen Geld zu verdienen gibt es aufgrund ihrer gesellschaftlichen Ausgrenzung nicht. Einzig in Schönheitssalons oder bei Friseuren ist es Ihnen möglich relativ unbeschwert zu arbeiten. Viele Hijras versuchen Stellen in der Textilindustrie zu bekommen, werden dort aber zunehmend drangsaliert und diskriminiert. Prostitution erscheint vielen als einzige Möglichkeit mehr zu verdienen. Das durchschnittliche Tageseinkommen liegt dabei zwischen 200 und 300 Taka (Anm. d. Red.: etwa 2 bis 3 Euro). Das ist wesentlich mehr als Hijras mit "gewöhnlicher" Arbeit verdienen können.

NETZ: Es bestehen demzufolge viele Probleme für Transgender, sei es im Alltag oder bei der Arbeit. Ihre Organisation bietet eine Anlaufstelle. Badhan Hijra Sangha kann als eine Art Beratungszentrum für Hijras verstanden werden. Was sind die wichtigsten Arbeitsbereiche?

Sarker: Wir sind besonders in der HIV-Beratung tätig, bieten wirtschaftliche Unterstützung und setzen uns in der Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit für die Rechte der Hijars ein. Von unserem Büro aus koordinieren wir die Arbeit und unsere Türen stehen immer offen für Beratung und Nothilfe. Wir haben auch ein Team, das auf der Straße arbeitet. Zwischen 17 und 21 Uhr sind Kontaktpersonen für Hijras unterwegs, suchen Treffpunkte auf und bieten mobile Beratung. Auch hier steht die HIV-Aufklärung im Vordergrund. Unsere Sozialarbeiter treffen auf Hijras, die als Sexarbeiterinnen tätig sind, führen Gespräche und verteilen Kondome.

NETZ: Wie gestaltet sich die Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit bei einem Thema, dem die Gesellschaft ablehnend gegenübersteht?

Sarker: Besonders wichtig ist es, Verbindungen zu anderen Einrichtungen zu schaffen, um das Bewusstsein für Hijras zu stärken. Wir versuchen dazu, Kontakte zu Anwälten, Journalisten und Lokalpolitikern zu knüpfen. Zudem weigern sich viele private Ärzte Hijras zu behandeln. In öffentlichen Krankenhäusern dürfen sie grundsätzlich nicht versorgt werden. In Bangladesch gibt es Ärzte für Männer und Ärzte für Frauen. Hijras haben keinen Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem. Dabei treten bei ihnen vermehrt Krankheiten auf, speziell durch die Tätigkeit als Sexarbeiterinnen. In diesen Fällen versuchen wir zu vermitteln und Betroffene zu unterstützen.

NETZ: Werden Sie dabei auch selbst mit Problemen konfrontiert?

Sarker: Viele Bürger reagieren mit Unverständnis, vor allem da die meisten unserer Mitarbeiter Hijras sind. Wir stehen aber vor allem vor administrativen Problemen. Das bedeutet, dass es verschiedene Barrieren gibt, die das Spendensammeln erschweren. Doch genau darauf sind wir angewiesen. Wir versuchen immer noch eine Registrierung als NGO zu bekommen. Die Regierung lässt aber mit der Zusage auf sich warten und erschwert Projektanträge somit deutlich.

NETZ: Welchen Möglichkeiten gibt es, um die Situation von Hijras in Bangladesch zukünftig zu verbessern? Gibt es eine internationale Vernetzung, beispielsweise unter dem Schirm von LGBTI-Verbänden, die sich für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und Intersexuellen einsetzen, die dabei vielleicht hilfreich wäre?

Sarker: Bisher ist eine internationale Vernetzung noch zu wenig institutionalisiert. Ich habe im März 2012 einen Workshop in Nepal besucht, zu dem verschiedene Hijra-Organisationen Südasiens zusammenkamen. Versuche, die Situation zu ändern, gibt es, doch es fehlt an Stärke. Ich hoffe darauf, dass sich Transgender zukünftig weiter organisieren und gemeinsam für ihre Rechte eintreten. Wenn wir zusammen Stärke demonstrieren, haben wir eine starke Stimme und werden irgendwann als gleichwertige Bürger und vor allem als Mitmenschen verstanden werden.

 

 

Das Interview führte der NETZ-Freiwillige Sven Wagner in Dhaka.


Quelle: Dieser Beitrag erschien in der Ausgabe 01-2012 der Bangladesch-Zeitschrift NETZ zum Thema "Am Rand der Gesellschaft - Sexuelle Minderheiten in Bangladesch". Die Zeitschrift können Sie auf www.bangladesch.org/zeitschrift bestellen.

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