Inhalt

23. November 2009. Interviews: Politik & Recht - Pakistan Es wird an zwei Fronten gekämpft

Interview mit Athar Minallah

Athar Minallah ist Anwalt am Obersten Gerichtshof in Pakistan und engagiert sich in der Anwaltsbewegung (Lawyers Movement) für demokratische Reformen und die Errichtung eines funktionierenden Rechtsstaats. Seit März 2007 fungierte er als Sprecher für den von dem damaligen Militärregime unter General Pervez Musharraf abgesetzten Obersten Richter des Landes Iftikhar Muhammad Chaudhry. Im Jahr 2002 hatte Minallah einen Ministerposten in der Übergangsregierung der Nordwestgrenzprovinz (NWFP) übernommen, um einen politischen Übergang und Wahlen zu gewährleisten. Nach längerem innenpolitischen Tauziehen wurde Chaudhry am 16. März 2009 zwar wieder eingesetzt, die Anwaltsbewegung sieht sich jedoch noch längst nicht am Ziel, da die Rechtsprechung im Land weiterhin wenig effizient und stetiger Einflussnahme seitens der politischen Machthaber und des Militärs ausgesetzt ist.

Pakistan macht derzeit besonders unruhige Zeiten durch. Die Armee rückt derzeit gegen die Taliban im Südwaziristan vor, während diese Pakistan landesweit mit Terror überziehen.
Pakistan ist ein bedrängtes Land, es befindet sich im Auge mehrerer Stürme. Es wird an zwei verschiedenen Fronten gekämpft. Die eine das Bestreben, eine funktionierende rechtsstaatliche Ordnung zu errichten, die andere ist die Bedrohung durch den Terrorismus. Aber Pakistan hat in den letzten zweieinhalb Jahren auch eine Menge Veränderungen erlebt. Wir haben jetzt eine funktionierende Pressefreiheit. Und vor allem haben die Menschen verinnerlicht, dass die grundlegenden Probleme unseres Landes, seien sie im Bereich von Herrschaft und Politik, sei es wirtschaftliche Entwicklung oder insbesondere auch die Sicherheitslage, auf rechtsstaatlichen Defiziten beruhen. Diese Defizite haben ein Chaos hervorgerufen. Wenn die Menschen nun ihre Teilnahme am System einfordern und ihnen zukünftig nicht nur Rechte auf dem Papier sondern auch in der Praxis zustehen sollten, würden sie auch mehr für ihn einstehen.
Wie beurteilen sind Sie der Entwicklungen in der NWFP und in den Stammesgebieten?
Wir müssen uns die Region immer auch in einem eher historischen Kontext anschauen. In dieser Region spiegeln sich seit dem Ende der 1970er Jahre die Interessen vieler Staaten wieder - mit den bekannten Folgen. Die aufgekommene Kultur der Waffen hat die Kultur dieser Region nachhaltig gestört. Gegen die Auswirkungen davon kämpfen wir bis heute an. Ausländische Staaten und natürlich auch die pakistanischen Regierungen verfolgten und verfolgen dort noch immer ihre eigenen Spiele.
Es scheint so, als dass dieses Gebiet am weitesten von der von Ihnen geforderten Rechtsstaatlichkeit entfernt ist?
In der Tat sind die Missstände dort am deutlichsten sichtbar, was aber nicht heißt, dass die Ursachen nur dort liegen. Anders gesagt, die landesweite Schwächung staatlicher Institutionen spielte eine ebenso wichtige Rolle. In das Vakuum stoßen dann andere Kräfte. Die Taliban und andere Gruppierungen, haben nichts mit dem Islam zu tun - nein, es geht um Macht. Aber mit der momentan laufenden Offensive der pakistanischen Armee dürfte sich das Kräfteverhältnis in den nächsten Wochen wieder verschieben.
Erscheint denn ein Erfolg in nächster Zeit absehbar?
Es wird lange Zeit brauchen, es ist weitaus komplexer als es oft wahrgenommen wird. Es sind nicht die Armeeoperationen, welche die Situation verändern werden - es ist die Politik, der die Hauptrolle dabei zukommt. Wenn sie dort Vertrauen wecken kann, werden sich die Menschen gegen diese terroristischen Elemente, bekannt als Taliban, wehren, so wie in anderen Teilen unseres Landes auch.
Aber wenn man sich die dominierende politische Klasse Pakistans anschaut, wirkt diese aufgrund ihrer bisherigen Handlungsmuster doch wenig vertrauenerweckend?
Die Wähler bestimmen die politische Führung und wir müssen den Willen des Volkes respektieren. In den letzten 62 Jahren wurde der Bevölkerung meist der Wille von Oben aufgedrückt, was zu der jetzigen Situation von Rechtsunsicherheit und Chaos führte. Wenn es uns gelingt, die Verfassung zu stärken und zu verteidigen, werden die Interessen einzelner, kleiner aber machtvoller Gruppen zunehmend weniger wichtig sein.
Welchen Anteil hat die Anwaltsbewegung an dem Kampf für eine rechtsstaatliche Demokratie?
Die Wiedereinsetzung der vom Regime geschassten Richter war nur ein erster Schritt. Die nötigen Reformen können derzeit nicht von der Rechtsprechung allein umgesetzt werden, dafür ist es wichtig, dass wir Anwälte sie dabei unterstützen. Das Ziel ist die Errichtung eines funktionierenden, demokratischen Rechtsstaats. Jede politische Entscheidung muss offen und frei im Parlament diskutiert werden.
Das Parlament muss gestärkt werden, dass es jetzt ein frei gewähltes Parlament gibt, ist auch ein Ergebnis unserer Arbeit. Wir unterstützen und beraten sie gerne weiterhin. Aber sie müssen jetzt handeln und für einen weiteren Wandel kämpfen, wenn sie sich diskreditieren oder versagen, fügen sie der Demokratie erneuten Schaden zu, was sehr schlimm für unser Land und das pakistanische Volk wäre.
Präsident Asif Ali Zardari genießt immer noch eine Machtfülle, die ohne das vorherige Regime Musharrafs nicht möglich gewesen wäre.
Das Parlament entscheidet über die in der Verfassung festgeschrieben Rechte und Pflichten. Ich hoffe, dass sie Verfassung wieder in jenen demokratischen Zustand bringen, wie sie es zuletzt im Jahr 1973 war. [Als Zulfikar Ali Bhutto nach dem Ende der Militärdiktatur demokratische Reformen einleitete und eine neue Verfassung schuf, in der Premierminister die meisten Vollmachten zuerkannt und die Rolle des Präsidenten auf rein repräsentative Aufgaben beschränkt wurden. - Anmerkung des Verfassers]
Wird es einen Hochverrats-Prozess gegen den momentan im saudi-arabischen Exil lebenden General Musharraf geben?
In unserer Verfassung steht, dass jede Person, welche die sich über die Verfassung hinwegsetzt, Hochverrat begeht. Seine Handlungen waren nicht vom Parlament gedeckt, das hat auch der Oberste Gerichtshof festgestellt. Aber nach unseren Gesetzen ist es die Regierung, die Hochverrats-Verfahren initiiert. Dies ist bislang nicht geschehen. Sollte es eines Tages so kommen, wird sich Musharraf dem Gericht stellen müssen. Ob er dann verurteilt würde, könnten wir dann sehen.
Was wünschen sie sich bezüglich der Wahrnehmung ihrer Bemühungen im Ausland?
Grundsätzlich würde ich mir ein besseres Verständnis für die Situation in Pakistan im Westen wünschen. Unsere Bewegung war in den letzten zwei Jahren eine pluralistische, liberale und moderne Bewegung, die erhebliche Erfolge erreicht hat. Ein funktionierender Rechtsstaat, mit für alle verbindlichen Gesetzen und einer unabhängigen Rechtsprechung ist das effektivste Instrument in dem, was gerne als "Krieg gegen den Terror" bezeichnet wird.
Die so genannte westliche Welt, hat lange Zeit unseren Kampf weitgehend ignoriert. Unsere Bewegung stellte ein Unikum in der islamischen Welt dar, dass wurde leider nicht so wahrgenommen. Nach und nach wurden Nichtregierungsorganisationen im Ausland auf uns und unseren Kampf für Rechtsstaatlichkeit in Pakistan aufmerksam, doch vonseiten westlicher Regierungen war lange keine offene Kritik an der bestehenden Situation zu vernehmen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn Staaten wie Deutschland akzeptieren und fortan mehr daran setzen würden, dass die Werte, die für ihre eigenen Bürger gelten, wie das Recht auf Gerechtigkeit und Rechtssicherheit sowie das Recht der Menschen, für eine Stärkung ihrer eigenen Rechte einzutreten, auch für die Bevölkerung Pakistans gelten sollen.

 

Kommentare

Als registriertes Mitglied können Sie einen Kommentar zu diesem Beitrag verfassen.