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Die Struktur der Shariah, bestehend aus dem Koran (der heiligen Schrift des Islam) und der Sunnah (all das, was der Prophet gesagt, getan und gebilligt hatte), ist schon zu Lebzeiten des Propheten Muhammad festgelegt gewesen und erhielt später in den Handbüchern der vier etablierten Rechtsschulen (Madahib, sing. Madhab) eine für jeden Gläubigen verbindliche Form. In den Rechtsbüchern seiner jeweiligen Schule sind ihm die gesetzlichen Bestimmungen für nahezu alle Lebensbereiche aufgeschlüsselt. Sie schreiben ihm vor, was seine religiösen Pflichten sind, welche Dinge ihm zu essen erlaubt sind, wie er sich zu kleiden und seine Familie zu behandeln hat, etc.
Zu diesen Problemfeldern besteht ein permanenter Bedarf an fachkundigen Auskünften, denn Veränderungen im Alltagsleben, etwa durch technische Entwicklungen, müssen mit der islamischen Lehre in Einklang gebracht, d.h., auf deren Bestand vor dem heiligen Gesetz hin überprüft werden. Traditionelle Schwierigkeiten gab es vor allem bei Fragen des Landbesitzes, Erbfolgen und Heiratsregelungen, während es in jüngeren Zeiten, vor allem mit der Annnäherung von islamischer und westlicher Welt seit Beginn des 19. Jahrhunderts, zu neuen Konflikten beispielsweise durch Erfindungen und medizinische Errungenschaften, bei Fragen zur Stellung der Frau in der Gesellschaft oder der Bildung von Gewerkschaften kam.
Die Funktion des Mufti ist es, bei Rechtsfragen Auskunft darüber zu erteilen, wie das Gesetz seiner Ansicht nach in diesem Falle anzuwenden ist, das heißt, die in den Rechtsbüchern seiner jeweiligen Schule genannten Bestimmungen für den besonderen Fall auszulegen. Ein Fatwa ist demzufolge nichts anderes, als die Meinung des Gelehrten zu einer aufgeworfenen Rechtsfrage, was auch die eigentliche Bedeutung des Begriffes ist. Fatawa können sowohl von Privatpersonen als auch von staatlichen Obrigkeiten angefordert werden. Zumindest im sunnitischen Islam kann ein Mufti auch von einer Privatperson konsultiert werden, um sich zu vergewissern, wie es um ihre Möglichkeiten bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung bestellt ist. Eine Person, welche ein Fatwa anfordert, wird als Mustafti bezeichnet, der Vorgang der Erteilung des Fatwa als Futya oder auch Ifta.
Die Erteilung eines Fatwa erfolgt generell in schriftlicher Form, bestehend aus einer Einleitungsformel mit der Lobpreisung Gottes: "Gepriesen sei der Allmächtige, der Herr der Schöpfung! O Allmächtiger, mehre meine Kenntnis!", gefolgt vom Gutachten zu der aufgeworfenen Rechtsfrage, und einer die Gnade Gottes erbetenden Schlußformel: "Der Allmächtige ist allwissend, rein und erhaben. Dies ist der Fatwa, gegeben von einem, der die geheime Gnade des Allmächtigen erhofft, Gott lobpreist und für den Propheten um Gottes Segen und Friede betet." Letztendlich wird das Dokument durch den Mufti mit dessen Namen und Titeln besiegelt.
Zu den Voraussetzungen zur Ausübung der Tätigkeit des Mufti gehören profunde Kenntnisse auf den Gebieten der Rechtswissenschaft und der islamischen Theologie sowie Integrität und die Fähigkeit, durch persönliches Schlußfolgern zu einer Problemlösung zu gelangen. Als Mufti können, im Gegensatz zu Richtern, sowohl Männer als auch Frauen und körperlich Behinderte, z.B. Stumme oder Blinde, agieren.
In seinen Anfangszeiten war die Profession des Mufti rein privater Natur. Die Autorität eines Mufti lag ausschließlich in dessen Ansehen als Gelehrter begründet, eine offizielle Zustimmung benötigte er nicht. Das heißt, daß als Mufti jeder Gelehrte wirken konnte, dessen Urteile und Ansichten innerhalb seiner Gemeinde von entscheidender Bedeutung gewesen sind. Diese private Praxis des Futya ist bis in die heutige Zeit erhalten geblieben, parallel hierzu jedoch entwickelte sich die institutionalisierte Form des Mufti-Amtes.
Ihren Ursprung nahm diese Entwicklung im muslimischen Andalusien. Staatliche Autoritäten holten sich den Rat anerkannter Gelehrter ein, um sich über die gesetzlichen Hintergründe in Bezug auf ihre Entscheidungen aufklären zu lassen. Diese Muftis erhielten für ihre Tätigkeiten eine staatliche Entlohnung und wurden in den Rang eines offiziellen Muftis gestellt. Die Institution des Mufti-Amtes hat sich bis heute in nahezu allen Staaten der muslimischen Welt durchgesetzt. In Staaten, in denen Anhänger verschiedener Rechtsschulen leben, finden sich offizielle Muftis für jede der vetretenen Schulen. Der oberste Mufti eines Landes wird oft als Shayk al-Islam bezeichnet.
Unterschiede im Bezug auf die Verbindlichkeit des erteilten Fatwa für den Auftraggeber lassen sich im Vergleich zwischen schiitischem und sunnitischem Islam feststellen. Ein im schiitischen Islam erteiltes Gutachten ist durch den Mustafti in jedem Falle anzunehmen, die darin enthaltenen Ratschläge müssen von ihm befolgt werden. Sucht er in zukünftigen Fällen um Rat, so hat er sich weiterhin an denselben Mufti zu wenden. Im Sunnismus hingegen hat der erteilte Fatwa keine Verbindlichkeit für den Auftraggeber. Ist er mit dessen Aussage nicht einverstanden, so hat er die Möglichkeit, zur selben Problematik die Meinungen anderer Gelehrter einzuholen.
Von großer Bedeutung für die islamische Welt sind die Gutachten des Fatwa-Kollegiums der Theologischen Hochschule al-Azhar in Kairo. Die zunehmenden Unsicherheiten im Umgang mit den Entwicklungen des modernen Lebens führten im Jahre 1935 zur Einberufung dieses Gremiums. Bestehend aus zwölf Rechtsgelehrten, sind in ihm alle vier islamischen Rechtsschulen vertreten. Von diesem Kollegium gehen jährlich etwa 350 Gutachten aus.
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