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Das Vertrauensverhältnis zwischen den USA und ihrem Verbündeten Pakistan ist derzeit schlecht. Während die pakistanische Regierung die Erstürmung des Unterschlupfs des al-Qaida-Gründers Osama bin Laden als eine gemeinsame Aktion darzustellen versuchte, beanspruchte der CIA-Direktor Leon Panetta alle Anerkennung für seinen Dienst und das US-Militär. "Die Regierung war besorgt, dass Pakistan die Operation gefährden würde", sagte Panetta dem Time Magazine. Man hätte befürchten müssen, dass "die Ziele alarmiert würden".
Die Angst, vom Partner im Anti-Terror-Kampf verraten zu werden, scheint nicht unbegründet zu sein. Auch viele Pakistanis fragen sich, wie es möglich war, dass Osama bin Laden unbehelligt in Abbottabad untertauchen konnte. Der beliebte Ort liegt nur 50 Kilometer von der Hauptstadt Islambad entfernt und beherbergt die pakistanische Militärakademie Kakul. Am 23. April hatte Armeechef General Ashfaq Parvez Kayani dort noch mitgeteilt, dass "das Rückgrat der Terroristen" in Pakistan gebrochen sei.
Nur wenige hundert Meter entfernt wohnte der al-Qaida-Gründer vermutlich schon seit Jahren. "Wir glauben, dass es ein Netzwerk an Unterstützern in Pakistan für Osama bin Laden gegeben haben muss", sagte Präsident Obama am Sonntag dem Sender CBS. "Wir wissen auch nicht, ob Mitglieder der Regierung daran beteiligt waren", fügte er hinzu und bestätigte damit, dass die US-Regierung in Betracht zieht, von der pakistanischen Regierung belogen worden zu sein.
Dass etwas mit dem auffälligen festungsartigen Gebäudekomplex nicht stimmte, dürfte den in Abbottabad stationierten Sicherheitsdiensten nicht entgangen sein. Auch wenn der Militärgeheimdienst ISI dem CIA schon 2009 erste Hinweise gegeben haben will, hatten pakistanische Politiker und Militärs stets betont, dass es keine Indizien für einen Aufenthalt bin Ladens in Pakistan gebe. Mal vermutete man ihn in Somalia oder im Jemen, mal sollte er längst seinem Nierenleiden erlegen sein. Die westlichen Verbündeten mutmaßten, dass bin Laden zwar in Pakistan sei, sich jedoch in den Stammesgebieten nahe der afghanischen Grenze aufhalte.
Der Einsatz des Navy-Seals-Kommandos beendete das Rätselraten, schuf jedoch weitere Unklarheiten und Verstimmungen. Einerseits wollen die Amerikaner auf eigene Faust gehandelt haben, wofür der Einsatz eines bislang unbekannten Tarnkappen-Hubschraubers spricht. Andererseits sollen die pakistanischen Sicherheitsdienste erst nach Abschluss des 38-minütigen Einsatzes am Ort des Geschehens aufgetaucht sein, was für eine Kooperation spräche.
Sollte die Aktion tatsächlich ein Alleingang der USA unter Missachtung der Hoheitsrechte Pakistans gewesen sein, wäre insbesondere das pakistanische Militär schwer blamiert. Dass die pakistanische Regierung erst nach Abschluss der Aktion unterrichtet worden sein soll, käme einem Vertrauensbruch gleich. Auch wenn die Aktion gescheitert wäre, hätte dies für die Beziehungen zwischen beiden Staaten wohl unabsehbaren Schaden mit sich gebracht. Da Panetta behauptete, man sei sich nur zu 60 bis 80 Prozent sicher gewesen, dass man bin Laden dort ergreifen würde, war dieses Risiko offenbar hoch.
So ist es schwierig, zwischen echter und eventuell gespielter Entrüstung zu unterscheiden – auf beiden Seiten. In den USA forderten in der vergangenen Woche Abgeordnete das Einfrieren der finanziellen Unterstützung für Pakistan, bis geklärt sei, inwieweit der pakistanische Staat bin Laden gedeckt hat. Pakistan forderte eine Reduzierung der US-Streitkräfte im Land auf ein Minimum und erwägt eine Einschränkung der Nato-Nachschublieferungen für den Krieg in Afghanistan. Die Armeeführung betonte am Donnerstag vergangener Woche, dass man die Souveränität des Landes mit aller Macht verteidige und nun verbesserte Maßnahmen gegen "ähnliche feindliche Aktionen" anwenden wolle. Diese Äußerungen könnten allerdings auch auf den verfeindeten Staat Indien abzielen, dessen Militär zuvor offen erwogen hatte, Kommandoaktionen gegen von Pakistan aus agierende Terrorgruppen durchzuführen. Unterstützt wurde Pakistan von China, dem langjährigen Verbündeten, der auf "die Einhaltung der territorialen Souveränität aller Staaten" pochte und eine "weltweite Zusammenarbeit mit Pakistan bei der Terrorbekämpfung" forderte.
In Anbetracht der Rolle, die Pakistan als regionale Macht, als Transitland der wichtigsten Nachschubroute nach Afghanistan und als Atommacht spielt, erscheint eine länger anhaltende Eskalation unwahrscheinlich. Zu sehr braucht die US-Regierung Pakistan als Partner. Für Pakistan sind wiederum die damit verbundene Aufwertung und die Zahlungen der USA überlebenswichtig. Man kann nicht ohne einander.
Trotzdem ist zwischen beiden Staaten vieles kaputtgegangen. Was die meisten Pakistanis erzürnt, ist die öffentliche Demütigung durch den scheinbaren Alleingang der USA und die folgende Debatte, die das Land wieder einmal als Hort des Terrors erscheinen lassen. Die in Pakistan weitverbreiteten antiamerikanischen Ressentiments werden dadurch bestätigt, weshalb in der pakistanischen Presse gerne von "Frienemies" gesprochen wird. Man kämpft mit in einem Krieg, den man nicht wollte, aber aufgrund regionaler Interessen gegenüber Afghanistan und Indien auch unterstützt, und zahlte mit bislang über 30.000 Opfern einen hohen Preis – von den immensen Folgeschäden sowie vernachlässigten Investitionen ganz zu schweigen.
Doch der Zorn vieler Pakistanis richtet sich auch nach innen. Es regen sich Zweifel am bisher als nahezu allmächtig geltenden ISI und dem Militär. War bin Laden als eine Art Trumpf zurückgehalten worden, den man in der Hinterhand behalten wollte? War bin Laden "die goldene Gans, die die Armee unter Aufsicht behielt, aber die ihr nun zu ihrem Verdruss unter der Nase hinweg gestohlen wurde", wie der Nuklearforscher und Essayist Pervez Hoodbhoy in der Express Tribune schreibt? Was wusste man über bin Ladens Aufenthalt? Deckte man ihn? Oder gab es womöglich keine relevanten Erkenntnisse?
Die pakistanische Regierung wusste wahrscheinlich nichts über den Verbleib bin Ladens. Denn der Antiterrorkampf und der regionale Nexus aus Außen- und Sicherheitspolitik wird von der Armeeführung bestimmt. Von den größtenteils korrupten Politikern lässt diese sich ungern in ihre eigenen, weitreichenden Befugnisse hineinreden. Sensible Informationen behält man offenbar lieber für sich, damit sie nicht im Parteienstreit instrumentalisiert werden.
Gleichwohl ist es schwer vorstellbar, dass die Spitzen des Militärs und des ISI bin Laden schützten, da al-Qaida dem pakistanischen Staat offen den Krieg erklärt hatte. Zwar ist die Armee ideologisch gespalten, hat aber seit 2001 Hunderte ausländische Terroristen ergriffen. Viele von ihnen wurden auch im Landesinneren gefasst, wie etwa Khalid Sheikh Mohammed, der Planer der Anschläge vom 11. September 2001, oder Umar Patek, Koordinator der Anschläge in Bali im Jahr 2002, den pakistanische Sicherheitskräfte im Januar in Abbottabad festnahmen.
Trotzdem kann es gut sein, dass bin Laden von alten Kontakten zum ISI profitierte. Es ist auch im Interesse Pakistans, zu erfahren, mit wem Osama bin Laden in den letzten Jahren in Kontakt stand, wer ihn unterstützte und womöglich deckte. Vielleicht gewähren die von den USA konfiszierten Datenträger hierzu neue Erkenntnisse, von denen am Ende beide Staaten profitieren könnten – trotz verletzten Stolzes und gegenseitigen Misstrauens.
Der Beitrag erschien im Original am 12. Mai 2011 in der Wochenzeitung Jungle World 19/2011.
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