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Seit Jahren wird Afghanistan immer wieder mit Rohstoffreichtum in Verbindung gebracht. Ein internes Papier des Pentagon soll Afghanistan als "das Saudi-Arabien für Lithium" tituliert haben, meldete die New York Times schon am 13. Juni 2010. Diese Nachricht folgte ein halbes Jahr auf die Ankündigung der Regierung Boliviens mit Hilfe des Abbaus der eigenen Lithiumvorräte und der Weiterverarbeitung eine heimische Industrie aufbauen zu wollen. Lithium gilt aufgrund seines geringen Gewichts bei gleichzeitig hoher Energiedichte als eine zentrale Ressource der Zukunft. Ihm wird eine hohe Bedeutung für Hochleistungsenergiespeicher und somit für Batterien in der Elektromobilität zugesprochen.
In Afghanistan scheint sich die Debatte weniger um den Aufbau einer verlängerten Wertschöpfungskette zu drehen, sondern es sollen vor allem mit Hilfe des extraktiven Abbaus von Rohstoffen Devisen ins Land geholt werden. Das südasiatische Land ist nicht nur aufgrund der Lithium-Funde als Rohstoffpartner interessant, sondern es beheimatet laut geologischen Berichten weitere Ressourcen, die die deutsche Industrie für ihre Produktion benötigt: Seltene Erden, Kupfer, Blei und Zink, Eisen und andere strategische Metalle. Schon im September 2010 bestätigte die Deutsche Rohstoffagentur (DERA), die im Jahr 2010 gegründet wurde, um im Rahmen der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) die deutsche Industrie zu beraten, dass in Afghanistan "seit längerem bedeutende Reserven an Kupfer- und Eisenerz bekannt [sind], die allerdings noch nicht bergmännisch entwickelt wurden." In einem asienweiten Ranking der DERA zu Rohstoffreserven belegt Afghanistan hinter China, Indonesien und Indien den vierten Rang.
Am 5. Juli 2013 richtete das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) den ersten deutsch-afghanischen Rohstoffdialog aus. In der Begrüßung sowie in weiteren Wortbeiträgen betonte Gudrun Kopp, parlamentarische Staatssekretärin und Sonderbeauftragte für Rohstoffe beim BMZ, dass die Zusammenarbeit mit der deutschen Industrie eine gute Gelegenheit für das asiatische Land sei. Der Rohstoffsektor böte "enorme Chancen, Arbeitsplätze und Wohlstand zu schaffen [und somit könne er] einen Beitrag leisten, das Land nachhaltig zu entwickeln." Ihren Vortrag beendete sie mit einer Aufforderung an die ebenfalls eingeladene deutsche Industrie als potentielle Investoren: "Das Leben ist riskant. Die, die sich zuerst engagieren, werden auch als erstes Profite erzielen. (…) Deutsche Unternehmen wissen was zu tun ist und ich kann ihnen nur anbieten, ihnen unser Wissen und unsere Expertise zur Verfügung zu stellen".
Die Unterstützung der deutschen Bundesregierung beim aggressiven Werben um Investoren in Afghanistan ist symptomatisch für die Rohstoffpolitik der Bundesregierungen seit 2005. Die von Minister Niebel angestrebte Rohstoffpartnerschaft ist dabei ein neues Instrument zur Unterstützung der deutschen Industrie bei der Beschaffung von industrierelevanten Rohstoffen. Im Jahr 2005 hatte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) mit seinem 1. Rohstoffkongress die Themen "Rohstoffknappheit" und "Versorgungssicherheit" platziert. Aufgrund der steigenden Weltmarktpreise für einige Schlüsselrohstoffe sorgte sich der BDI um die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland. Schon im März 2007 hatte die damalige Große Koalition (aus CDU/CSU und SPD) mit den "Elementen einer Rohstoffstrategie der Bundesregierung" erstmals darauf reagiert.
Die "Elemente einer Rohstoffstrategie der Bundesregierung" wurden im Rahmen des 2. BDI-Rohstoffkongresses veröffentlicht und waren die Vorlage für die im Oktober 2010 verabschiedete "Rohstoffstrategie der Bundesregierung" durch das Bundeskabinett, mittlerweile vertreten durch die CDU/CSU- und FDP-Fraktion, vorgestellt auf dem 3. Rohstoffkongress des BDI. Diese Rohstoffstrategie unterstreicht den klaren Fokus auf freien Handel mit Rohstoffen, unter anderem durch die Forderung nach weiteren Freihandelsabkommen, einer kohärenten Rohstoffdiplomatie und der Nutzung von WTO-Klagemöglichkeiten gegen Staaten, die den Export von Rohstoffen reglementieren. Dass es durchaus ökologische, menschenrechtliche oder wirtschaftspolitische Gründe haben kann, Exporte von Rohstoffen zu reglementieren, wird in dieser Argumentation außer Acht gelassen.
Die Rohstoffstrategie der Bundesregierung beinhaltet zudem eine stärkere Unterstützung der Industrie bei der Diversifizierung der Rohstoffquellen, zum Beispiel über staatliche Kredite und Investitionsgarantien, geologische Vorerkundungen und eine verbesserte Datenbereitstellung. Zur Beratung wurde die bereits erwähnte Deutsche Rohstoffagentur unter dem Dach der BGR gegründet. Die DERA forscht zu "kritischen Rohstoffen", sprich den Rohstoffen, die für die deutsche Industrie von großer Bedeutung und deren Verfügbarkeit eingeschränkt ist.
Die verbindliche Verpflichtung zu menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten, ökologischen Standards oder die generelle Notwendigkeit den absoluten Rohstoffkonsum zu reduzieren, werden in der deutschen Rohstoffstrategie nur am Rande thematisiert. Ein weiteres Instrument der Bundesregierung sind die bilateralen Rohstoffpartnerschaften. In ihnen "werden außen-, wirtschafts- und entwicklungspolitische Zielsetzungen eng miteinander verzahnt" (BMWi 2010). Im Oktober 2011 wurde die erste Rohstoffpartnerschaft zwischen der Bundesregierung und der Mongolei unterzeichnet. Die Federführung für die Verhandlungen obliegt dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi), doch auch andere Ministerien, wie das BMZ oder das Bundesumweltministerium sind eingebunden. "Schwerpunkte einer nachhaltigen Zusammenarbeit mit der Mongolei sind u. a. die Verbesserung der Rohstoff- und Ressourceneffizienz, die Umsetzung von Umwelt- und Sozialstandards bei der Rohstoffgewinnung und -aufbereitung, der Aufbau von Industrieclustern einschließlich der Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten, sowie die Verbesserung des Investitions- und Innovationsklimas" ließ das BMWi in einer Pressemitteilung vom 13.10.2011 mitteilen.
In Verbindung mit der Rohstoffpartnerschaft mit der Mongolei unterzeichnete ThyssenKrupp-Vorstand Edwin Eichler am 17.06.2011 in Tavan Tolgoi mit dem mongolischen Unternehmen Energy Resources ein Kooperationsabkommen über die Lieferung von Kokskohle aus der Mongolei nach Europa. Ferner wurde ein Milliardenvertrag zur Förderung von Kokskohle zwischen den Vertretern des deutsch-australischen Konsortiums aus BBM Operta (Mülheim/Ruhr) und Macmahon mit dem mongolischen Unternehmen Erdenes besiegelt. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit flankiert dies unter anderem durch Aus- und Fortbildungsprogramme.
Im Februar 2012 folgte eine zweite Rohstoffpartnerschaft mit Kasachstan, im Januar 2013 wurde eine Rohstoffpartnerschaft mit Chile unterzeichnet. Darüber hinaus scheinen die Verhandlungen mit Peru kurz vor dem Abschluss zu stehen. Die von Minister Niebel angedeutete Rohstoffpartnerschaft mit Afghanistan wäre die fünfte Partnerschaft und würde in diesen Rahmen passen.
Dies ist der Kontext, in dem der erste deutsch-afghanische Rohstoffdialog gesehen werden muss. Neben Gudrun Kopp als eine der Vertreter/innen der deutschen Regierung waren auch hochrangige Delegierte aus Afghanistan eingeladen. Auf dem Eröffnungspodium betonten die beiden Minister Dr. Omar Zakhilwal (afghanischer Finanzminister) und Wahidullah Shahrani (afghanischer Minister für Bergbau, Öl und Gas) die sehr großen Chancen, die der Bergbausektor für ausländische Investoren bietet. Bergbauminister Shahrani merkte an, dass sein Land sehr gerne eine mögliche Rohstoffpartnerschaft mit der deutschen Regierung und der deutschen Industrie sondieren würde.
Die afghanischen Repräsentant/innen machten keinen Hehl daraus, was aus ihrer Sicht Hintergrund und Ziels dieses Dialogs war und ist: Es ging darum, den eigenen Rohstoffreichtum anzupreisen, Investoren zu gewinnen und durch die damit verbundenen Einnahmen unabhängig von westlichen Geldgebern zu werden, wie unter anderem die geladenen Minister betonten. Der Kurzvortrag von Mohammad Yamma Shams, seinerseits Chefberater des Ministers für Öffentliche Angelegenheiten, passte in diesen Kontext, denn er stellte die unterschiedlichen Infrastrukturprojekte des Landes vor. Auffällig an der Präsentation war, dass fast alle vorgestellten Straßen- und Eisenbahn-Projekte in den Grenzregionen des Landes lagen. Das knüpfte an die Worte des Finanzministers Zakhilwal an, der über die Infrastrukturprojekte Afghanistan mit der Region und indirekt an die europäischen und asiatischen Märkte anschließen möchte. Afghanistan würde so zu "einer Landbrücke zwischen Ostasien, dem Nahen Osten und Europa". Dem Rohstoffreichtum sei Dank!
Den eindeutigen Investitionsaufforderungen der deutschen und afghanischen Regierungsvertreter/innen kam vorerst nur Bernhard Schlimm nach. Der Produktmanager im Bereich Bergbau beim deutschen Konzern Wirtgen GmbH war nach der kurzfristigen Absage von Prof. Dr. Matthias Reimann (Knauf Gips KG) der einzige Industrie-Vertreter auf dem Podium. Sein durchaus als skurril zu bewertender Kurzvortrag betonte das große Interesse seines Unternehmens in Afghanistan zu investieren, indem er sich durch eine Bild-Präsentation des Fuhrparks aus den Bereichen Bergbau-Equipment – Surface Miner und Crusher – sowie durch Straßenbau-Fahrzeuge – Planierraupen etc. – klickte.
Nach der Mittagspause oblag es an Ghazaal Habibyar, Direktorin Politik im Ministerium für Bergbau, Öl und Gas, auf das neue Bergbaugesetz einzugehen. Auf Nachfrage aus dem Publikum versprach sie, dass die anwesenden Berater/innen der Bergbaubranche und die deutsche Industrie das neue Bergbaugesetz "mit jedem anderen Gesetz auf der Welt vergleichen [könnten] und sie werden zufrieden gestellt sein".
Doch trotz dieses Versprechens, trotz des durchaus hochrangig besetzten Dialogforums und trotz der Stimmungslage wie bei einer Verkaufsveranstaltung waren nur wenige Vertreter der deutschen Industrie persönlich bei diesem eigenartigen Rohstoffdialog zugegen. Vor allem Mitarbeitende aus dem BMZ, der GIZ und der KfW, politische Beobachter aus Parteien, Stiftungen und NGOs sowie vereinzelt Fachberater für Bergbauunternehmen und Consultant Agencies nahmen an der Diskussion teil.
Die Bundesregierung hat bisher bei keiner Rohstoffpartnerschaft die deutsche Zivilgesellschaft oder die Zivilgesellschaften der Partnerländer sonderlich konsultiert. Verhandlungen werden intransparent und auch noch ohne Einbindung des deutschen Parlaments unter Federführung des BMWi geführt. Für Menschenrechts-, Umwelt- oder Entwicklungsorganisationen sind die Verhandlungen zu keinem Zeitraum beeinflussbar, doch ist davon auszugehen, dass der Bundesverband der Deutschen Industrie eingebunden ist. Ohne das Votum der Privatwirtschaft wird das Bundesministerium wohl keine Verhandlungen führen. Schon in der Vergangenheit nahm der BDI in beratender Funktion an Treffen des Interministeriellen Ausschusses "Rohstoffe" teil. Vertreter der afghanischen oder der deutschen Zivilgesellschaft waren bei diesem Rohstoffdialog nicht eingebunden. Die aktuelle Sicherheitslage, die Rolle der Taliban, etwaige Flächen- oder Wassernutzungskonflikte, Menschenrechtsverletzungen, Konflikte zwischen der Kleinschürferei und Großtagebergbau, mangelnde Entschädigungszahlungen, Vertreibungen und Umsiedlungen sowie andere kritische Themen wurden gar nicht oder nur gelegentlich durch Fragen aus dem Publikum kurzfristig angesprochen. Die Verkaufsveranstaltung sollte nicht gestört, das Bild des Rohstoffmarktes Afghanistan nicht getrübt werden.
Die afghanische Regierung verspricht internationalen Investoren auf der einen Seite größtmögliche Zugeständnisse, auf der anderen Seite ist sie auch mit nationalen und internationalen NGOs in einem Dialog. Diesen verspricht sie bei der Vorbereitung und Implementierung eines umfassenden und effektiven Rahmens für die extraktive Industrie Maßnahmen einzubauen, die internationale Best Practice bei Sozial- und Umweltstandards bieten, wie die NGO Global Witness in einer Pressemitteilung vom 4. Juli 2013 berichtet. Dieser Spagat wird eine große Herausforderung, der nicht allein durch die angestrebte Mitgliedschaft Afghanistans in der Extractive Industries Transparency Initiative (EITI) gelöst werden kann.
Im Jahr 2008 wurde das Netzwerk AK Rohstoffe gebildet, dessen Ziel eine demokratische und global gerechte Rohstoffpolitik ist. Schon im Jahr 2010 kritisierte der AK Rohstoffe in dem Papier "Anforderungen an eine zukunftsfähige Rohstoffstrategie" die Position der Bundesregierung. Trotz der stetigen Verweise auf Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung in vielen rohstoffreichen Ländern sah sich die Politik bislang jedoch nicht dazu gedrängt, an ihrer rohstoffpolitischen Strategie etwas grundsätzlich zu ändern. Ziel ist die sogenannte Rohstoffsicherheit, der alle anderen außen- und entwicklungspolitischen Ziele untergeordnet erscheinen.
Im Sommer 2013 erneuerten Menschenrechts-, Umwelt- und Entwicklungsorganisationen ihre Kritik. Statt einem Weiter so wie bisher fordern sie eine absolute Reduktion des Rohstoffverbrauchs in Deutschland und Europa, verbindliche Regeln für deutsche und europäische Unternehmen im internationalen Rohstoffgeschäft (Transparenz, sozial-ökologische Standards, Steuern, Partizipations- und Klagemöglichkeiten für Opfer von Menschenrechtsverletzungen) und eine demokratische Einbindung von Parlamenten und Zivilgesellschaft anstatt eines privilegierten Zugangs zu politischen Entscheidungen für die Industrievertreter. Vorschläge zu einer alternativen Rohstoffpolitik liegen vor, müssen aber von der Zivilgesellschaft in Deutschland noch viel entschlossener und koordinierter vorgebracht werden. Einen Beitrag dazu leistete die erste, deutschlandweite "Alternative Rohstoffwoche" (Informationen und Programm), die vom 12.-19.10.2013 stattfand.
Quelle: Dieser Artikel erschien im Orginal in der vom Südasienbüro Bonn e.V. herausgegeben Zeitschrift SÜDASIEN Nr. 3/2013.
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