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18. März 2013. Analysen: Kunst & Kultur - Indien Frische Brise im globalen Kunstbetrieb

Indiens erste Biennale in Kochi (Dezember 2012-März 2013)

Indiens erste Kunstbiennale war von Anfang an von zahlreichen Kontroversen und Problemen begleitet, angefangen von der Finanzierungsfrage über die Auswahl der künstlerischen Leitung bis hin zur Streitfrage, ob zeitgenössische Kunst zu einem "touristischen Spektakel" werden dürfe. Vielfach gelobt wird sie nun vor allem für drei Dinge: für die Freiräume, die sie den beteiligten KünstlerInnen eröffnet hat, für den ausgeprägten Bezug zum Ausstellungsort und seiner facettenreichen Geschichte und für die ausgestellten Werke und Arbeiten selbst.

"Langweilen kann sich der Besucher auf Biennalen heute global - ob Istanbul, Singapur oder Busan. Kaum eine aufstrebende Wirtschaftsmetropole, die sich nicht gleich eine Kunstbiennale einrichtet […]. Braucht es da wirklich eine Biennale in Indien?". Tim Ackermann (Die Welt, 02.03.13) formuliert dies eher als rhetorische Frage, die er sogleich mit dem O-Ton eines der bekanntesten zeitgenössischen Künstler aus Indien, Subodh Gupta, dezidiert bejahen kann. Und dass diese Biennale alles andere als langweilig war, haben seit der Eröffnungsfeier im Dezember vergangenen Jahres viele begeisterte BesucherInnen einhellig festgestellt. Deutlich elaborierter ist jedoch die Begründung, die der bekannte Malayalam-Dichter K. Satchidanandan kürzlich in der Zeitschrift Frontline (08.03.13) für die Relevanz und Bedeutung dieser gelungenen Biennale-Premiere in Indien gab. Seiner Ansicht nach ist es der Biennale in Kochi tatsächlich geglückt, die dringend benötigte Plattform für eine Innenschau und Überprüfung der zeitgenössischen Kunst und ihrer Möglichkeitsbedingungen ("conditions of possibility", ibid., S. 100) zu schaffen, indem sie indische wie internationale KünstlerInnen, KuratorInnen, KritikerInnen und BetrachterInnen in einer neuen Form der Sozialität und produktiven gegenseitigen Beziehung zusammen geführt habe. 1

Auch in Kochi war deutlich zu spüren, wie groß gegenwärtig die Neugier und Lust in der indischen Gesellschaft ist, der zeitgenössischen Kunst ganz unbefangen zu begegnen, die neuen oder neu entdeckten Ausstellungsorte zu erkunden und an ihnen durchaus auch länger zu verweilen, wozu im Fort Kochi nicht zuletzt der Blick aus den ehemaligen Lagerhallen und Händleranwesen auf das Arabische Meer einlud. Aus diesem unkomplizierten Nebeneinander von Familien mit Kleinkindern, versierten KunstkennerInnen, TouristInnen und vielen aufgeweckten Jugendlichen entstand eine äußerst anregende und lebendige Atmosphäre unter den BesucherInnen. Große und bekannte Namen der zeitgenössischen indischen Kunst zogen dabei nicht zwangsläufig das größte Interesse auf sich, auch wenn bei unserem Besuch Anfang März deutlich zu spüren war, dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Arbeiten stattfindet, die den Kern der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Fragen der heutigen indischen Gesellschaft berühren und zum kritischen Nachdenken anregen.

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Junge BesucherInnen werfen sich for Vivek Vilasinis Werk "Last Supper Gaza" in Pose. Foto: Ulrich Rössler

Durch Fotografien, Alben, Zeitungsberichte und durch die Ausstellung vieler unterschiedlicher Reissaat-Sorten schafft der Filmemacher und Multimedia-Künstler Amar Kanwar einen Gedächtnisort für die Bauern aus Odisha, die infolge ihrer zunehmenden Verelendung Selbstmord begangen haben.  Zugleich lenkt er mit seiner Arbeit die Aufmerksamkeit auf die stete Bedrohung der ökologischen Systeme und Saatenvielfalt durch die neoliberale Wirtschaftsordnung und Integration der indischen Landwirtschaft in den Weltmarkt.

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"The Sovereign Forest" von Amar Kanwar. Foto: Swanoop John

Subodh Gupta und Vivan Sundaram, ein Neffe der indisch-ungarischen Malerin Amrita Sher-Gil, gehören zu einer Reihe von KünstlerInnen, die für ihre Arbeiten im Rahmen der Kochi-Biennale bewusst vor Ort mit lokalen Materialien gearbeitet haben. Ein für Kerala typisches, langes Fischerboot aus Holz hat Gupta mit vielen Dingen des Alltags, darunter Gebrauchtes und Wiederverwertbares, gefüllt. Seine Arbeit lässt sich ebenfalls in verschiedene relevante Kontexte einbetten und mit Blick auf sich wandelnde Lebensstile und Formen des Alltags und der Arbeit in dieser Region interpretieren. Eine faszinierende architektonische Landschaft hat Sundaram aus Tonscherben geschaffen, die er auf der Ausgrabungsstätte des Muziris Excavation Site gesammelt hat. Muziris ist der lateinische Name einer alten Handelsstadt an der Küste Zentralkeralas, die möglicherweise durch eine Flutkatastrophe zerstört wurde.

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"Black Gold", Installation aus Tonscherben von Vivan Sundaram. Foto: Nadja-Christina Schneider

Die Biennale nicht nur nach dem heutigen Kochi, sondern auch nach dem Mythen umrankten Muziris zu benennen - denn der offizielle Titel lautet "Kochi-Muziris Biennale 2012" 2 -, unterstreicht die programmatische Intention der beiden Kuratoren, Bose Krishnamachari und Riyas Komu. Wie sie im Vorwort zum Ausstellungskatalog schreiben, ist Kochi für sie

[…]the confluence of heterogeneity, a city where more than 30 non-Malayali communities have, over the centuries, come to find refuge, trade, proselytise and much else, only to develop roots and integrate into the local society. […] Kochi’s cosmopolitanism is one that has been worn by generations in Kerala as a badge of honour, even as it has led to series of struggles, time and time again, generating a curiosity about current realities, a complex one. It is one that is at the crux of the civilizational crisis - one that is economical, ideological and, thereby geo-political.

Auch aus den Nachbarländern Indiens waren einige Arbeiten von herausragenden KünstlerInnen vertreten, wie beispielsweise des pakistanischen Künstlers Rashid Rana. Unter den internationalen KünstlerInnen, die in Kochi vertreten waren, fand Angelica Mesiti aus Australien mit der von ihr ausgestellten 4-Kanal-Video-Installation "Citizens Band" besonderen Anklang bei den BesucherInnen. Zu sehen sind darin die musikalischen Performances eines mongolischen Obertonsängers, der dazu an einer anonymen Straßenecke die Pferdekopfgeige spielt; einer Kamerunerin, die in einem  öffentlichen Schwimmbad einen komplexen Trommelrhythmus auf der Wasseroberfläche hervorbringt; eines Algeriers, den französische Biennale-Besucher als Straßenmusikanten aus der Pariser Metro wiedererkannten und eines sudanesischen Taxifahrers, der eine wunderschöne Melodie virtuos pfeift. Die vier Performances werden schließlich zu einer neuen Komposition verschmolzen und Mesiti gelingt es mit ihrer berührenden und konzeptionell interessanten Arbeit, den besonderen Moment der musikalischen Darbietungen in einer außergewöhnlichen Intensität und Intimität einzufangen, ganz im Kontrast zur Anonymität der öffentlichen Räume, in denen sie stattfinden.

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Musiker in der Pariser Metro, Teil der Video-Installation "Citizens Band" von Angelica Mesiti. Foto: Kochi Biennale

Es ist auffallend, wie viele der in Kochi vertretenen KünstlerInnen in den 1970er und 1980er geboren wurden, so dass sich hier auch ein faszinierender Einblick in die Themen, Anliegen und künstlerischen Formen bot, mit denen sich diese hochmobile und gut vernetzte Generation von KünstlerInnen gegenwärtig auseinander setzt, inner- wie außerhalb Indiens. Bleibt zu hoffen, dass es kein einmaliges "Event" bleiben wird, sondern dass die Kochi-Biennale auf einer stabilen finanziellen Grundlage regelmäßig stattfinden können und vor allem weiterhin für einen frischen Wind im globalen Kunstbetrieb sorgen wird.

 

[ 1 ] Den sozioökonomischen Kontext und gegenwärtigen Wandel der zeitgenössischen Kunst(welt) in Indien untersucht Jamila Adeli in ihrer Forschung. Zur Einführung in die Thematik empfiehlt sich ihr Artikel "Translocal Art Worlds in Times of Medialization: Some Observations of India´s Contemporary Art World in Transition", In: Media and Social Identities in India - and beyond. Sonderausgabe der Zeitschrift: Internationales Asienforum / International Quarterly for Asian Studies. Vol. 42, No. 3-4/2011, hg. von Pierre Gottschlich und Nadja-Christina Schneider.

[ 2 ] Die Konzeptbeschreibung der Kuratoren ist auch auf der offiziellen Webseite der Kochi-Muziris Biennale 2012 zu finden: http://kochimuzirisbiennale.org/concept (zuletzt überprüft am 15.03.2013).

 

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