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Mein Name ist Tanvir Alim. Ich bin 32 Jahre alt und arbeite als Kulturreferent am Goethe-Institut in Dhaka. Schon früh merkte ich, dass ich mich nicht für Mädchen interessierte. Mit 16 hatte ich mich zum ersten Mal verliebt. In einen Jungen. Wohin mit diesen Gefühlen? Ich vertraute mich einem guten Freund an, der meinte: "Vielleicht bist du ja schwul?" Erst durch Internetrecherchen lernte ich, was es mit dem Begriff auf sich hat. Es ist keine Krankheit und ich bin nicht der Einzige auf der Welt, der Gefühle für einen Menschen des gleichen Geschlechts hat.
Mich öffentlich dazu zu bekennen war jedoch lange undenkbar. Es dauerte zehn Jahre, bis ich 2007 mit dem Schwulen-Netzwerk Boys of Bangladesch (BoB) in Kontakt kam. Bis heute engagiere ich mich ehrenamtlich bei BoB als Menschenrechtsaktivist und bin inzwischen der Leiter des Netzwerkes. Wir bieten eine Plattform für homosexuelle Männer zum informellen Austausch. Beispielsweise organisieren wir Kultur- und Tanzveranstaltungen und werden durch Publikationen und Aufklärungsveranstaltungen auch in der Menschenrechts- und Lobbyarbeit zunehmend aktiver.
Bevor ich BoB beigetreten bin hatte ich nicht den Mut, über meine sexuelle Orientierung zu sprechen. Was würden die Leute denken? Würde mich meine Familie verstoßen? In einem Land wie Bangladesch, das so stark von familiären Strukturen geprägt ist, fällt es schwer, dieses Risiko einzugehen. Wohin soll man gehen, wenn man keine Familie mehr hat? Die Angst vor sozialer Ausgrenzung ist der Hauptgrund warum sich die meisten Homosexuellen in Bangladesch nicht outen. Hetero- und homosexuelle Freundeskreise werden strikt voneinander getrennt. Probleme werden mit Hilfe falscher Facebook-Identitäten anonym im Internet ausgetauscht. Auch ich lebte lange mit verschiedenen Identitäten, aus Angst nach einem Coming-out alleine da zu stehen. Bei informellen Treffen mit anderen homosexuellen Männern bei BoB konnte ich endlich offen über meine Gefühle sprechen. Ich war nicht mehr allein. Langsam begann ich auch außerhalb der Gruppe mit meinem Coming-out.
Meine Eltern reagierten mit Schweigen. Zwar verurteilen sie mich nicht und versuchten nicht mich zu einer Scheinehe zu überreden, wie sie viele Männer trotz ihrer Homosexualität eingehen, um den gesellschaftlichen Konventionen von Ehe und Familie gerecht zu werden. Das Thema wird aber gänzlich totgeschwiegen. Wenn meine Cousins mit ihren Eltern über ihren Familien- und Ehealltag sprechen, stimmt es mich und ich denke auch meine Eltern traurig, dass wir unsere Erfahrungen und Probleme diesbezüglich nicht miteinander teilen können.
Bei BoB kann ich andere Homosexuelle bei ihrem Coming-out unterstützen. Trotz meiner Bemühungen, andere von dem Gefühl der Befreiung durch einem offeneren Umgang mit ihrer sexuellen Orientierung zu überzeugen, befinde ich mich häufig in schizophrenen Situationen. Auch ich kann nicht laut in die Welt hinausschreien, dass ich homosexuell bin. In Bangladesch kann ein zu offener Umgang mit dem Thema schwerwiegende Folgen haben. Viele Menschen sind nicht bereit Homosexualität als natürlich und normal anzusehen.
Selbst ein recht offen wirkender Bekannter erwähnte einmal, dass er seinen Sohn zum Psychologen schicken würde, wenn dieser schwul wäre. Viele Menschen denken nach wie vor, dass Homosexualität eine Krankheit ist. Zudem kommt es immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen gegen Homosexuelle und nur die wenigsten werden zur Anzeige gebracht. Betroffene haben Angst, dass eine Anzeige ihr sexuelles "Ich" offenbart, und dies noch mehr Gewalt, soziale Ausgrenzung, Diskriminierung oder sogar strafrechtliche Verfolgung nach sich zieht.
Zwar kam das sogenannte Antisodomie-Gesetz, das homosexuelle Handlungen mit bis zu lebenslanger Freiheitsstrafe ahndet, in Bangladesch noch nie zur Anwendung, doch wir müssen vermeiden zu schnell zu viel Aufmerksamkeit zu erregen. Öffentliche Kundgebungen und andere Aktionen könnten konservative Gruppen dazu bringen, das Gesetz in den Mittelpunkt zu rücken und es zur Anwendung zu bringen. Zunächst muss die Gesellschaft ihre Einstellung bezüglich sexueller Orientierung ändern, erst dann können Gesetzesänderungen zum Schutz sexueller Minderheiten folgen. Dafür bedarf es der Aufklärung der Bevölkerung. Zwar ist unsere Gesellschaft sehr konservativ, gleichzeitig haben die meisten Bangladeschis eine säkulare Einstellung. Dort müssen Menschenrechtsorganisationen und Netzwerke wie BoB ansetzen.
Inzwischen findet immer mehr Aufklärungsarbeit im Bereich Gleichstellung der Geschlechter statt. Schulungen werden zum Thema durchgeführt. Schrittweise müssen auch Menschen mit anderer sexueller Orientierung in diese Arbeit integriert werden. Diskussionen müssen angeregt werden. Auch wenn diese anfänglich zu unseren Ungunsten ausfallen können, muss endlich über das Thema Sexualität gesprochen werden. Irgendwann sollten Organisationen wie die Bandhu Social Welfare Society, die sich für die Rechte Homosexueller einsetzen, offen über ihre Arbeit sprechen können und sich nicht mehr unter dem Deckmantel der Gesundheitsprävention verstecken müssen. Wir müssen weg von der Einstellung, dass die Ehe zwischen Mann und Frau die einzig richtige Institution des partnerschaftlichen Zusammenlebens in Bangladesch ist. Die Zeit des Schweigens, Versteckens und der Angst muss irgendwann vorüber sein. Gesellschaftlicher Wandel vollzieht sich langsam und ich werde die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen in Bangladesch vermutlich nicht mehr erleben. Aber vielleicht die nächste Generation. Dafür lohnt es sich aktiv zu sein.
Die NETZ-Freiwillige Stefanie Eicke hat das Portrait von Tanvir Alim in Dhaka protokolliert.
Quelle: Dieser Beitrag erschien in der Ausgabe 01-2012 der Bangladesch-Zeitschrift NETZ zum Thema "Am Rand der Gesellschaft - Sexuelle Minderheiten in Bangladesch". Die Zeitschrift können Sie auf www.bangladesch.org/zeitschrift bestellen.
Weitere Informationen zu den im Beitrag erwähnten Organisationen finden Sie im Internet unter:
www.boysofbangladesh.org
www.bandhu-bd.org
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