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Neben gängigen Reiseführern wie dem englischsprachigen Lonely Planet existieren nicht nur Texte bekannter deutscher Autoren, sondern auch Beschreibungen junger Indienreisender, in denen individuelle Erlebnisse wie z.B. mit dem Fahrrad durch Indien, dem Rollstuhl entlang des Ganges oder Erfahrungen während langer Eisenbahnfahrten geschildert werden. Diese Texte unterscheiden sich substanziell von Reiseführern. Vor diesem Hintergrund ist es interessant zu hinterfragen, ob nicht nur das Reisen, sondern auch die dabei entstehende Literatur dazu beitragen kann, nationalgeprägte Denkmuster aufzubrechen und neue Aspekte zu beleuchten. In diesem Zusammenhang sei auf das Stadtschreiber-Projekt Akshar, einem Gemeinschaftsprojekt der Sahitya Akademie in Delhi, den Literaturhäusern Deutschlands und den Goethe-Instituten Indiens im Jahr 2006 hingewiesen, bei dem sechs indische und sieben deutschsprachige Autoren zu einem Austausch als Stadtschreiber nominiert und entsandt wurden. Sie haben ihre Eindrücke und Erlebnisse schnell und unbearbeitet frei zugänglich ins Internet gestellt. So entstand ein umfangreicher und außergewöhnlicher Korpus von Reisebeschreibungen, verbunden mit Reflexionen, Gefühlen und Stadtbeschreibungen.
http://www.goethe.de/INS/in/lp/kue/lit/sdt/deindex.htm
Bilder des Fremden
An Reiseliteratur, die bereits im Mittelalter durch Beschreibungen von Pilgerfahrten gespeist, jedoch noch nicht als Gattung bezeichnet wurde, werden unterschiedlichste Ansprüche gestellt. Sie beschreibt nicht nur das Reisen, sie enthält auch Informationen zu Gesellschaft und Kultur. Die deutsche Reiseliteratur zu Indien ist sehr vielseitig, und seit der Jahrtausendwende nimmt die Zahl der Reiseromane stetig zu. Konträr zur Vielzahl der Indienbeschreibungen ist keine vergleichbare empirische Fülle von indischen Erfahrungsberichten zu Deutschland auszumachen. Um die Vermutung der Nichtexistenz zu relativieren seien im Folgenden einige indische Reisebeschreibungen zu Deutschland genannt: Sachchidanand Vatsyayan Agyeya "Ek Boond Sahasa Uchchali" (1960), Nirmal Verma "Cheeron Par Chandani" (1964), Dharamveer Bharati "Yatra Charkra" (1994), Parsanath Chaudhri "Ek bharatiya grihini ki nazar me" (1982), Vidha Chaudhri "Jarmany. Ek bharatiya grihini ki nazar me" (2006), Usha Rajagopalan "Neuschwanstein: The dream castle" (2003) sowie der von Alok Mehta (2007) herausgegebene Sammelband "Safar suhana duniya ka". Viele der ohnehin wenigen Reisebeschreibungen wurden entweder in der Nationalsprache Hindi oder in einer der vielen indischen Regionalsprachen veröffentlicht und sind aufgrund fehlender Übersetzungen ins Deutsche hierzulande unbekannt.
Das Ziel einer weltweiten Christianisierung war einer der frühen Gründe, nach Indien zu reisen. Missionare hatten in der Regel eine wissenschaftliche Bildung genossen, mit Hilfe derer sie das Land detailliert beschreiben konnten. Indien, so der indische Schriftsteller Nirmal Verma (2006), hatte nie einen ausgeprägten Eroberungs- oder Missionierungsdrang, und wollte sich in anderen Ländern der Welt nicht profilieren. Darin liege eine Ursache für die wenigen Deutschlandschilderungen von indischer Seite. Trotz ihres Bemühens haben europäische Missionare kein großes Interesse an der christlichen Religion wecken können. Zu andersartig sei diese Religion zum Hinduismus. Nirmal Verma begründet das Schweigen, gar die Verweigerung unbekannten Kulturen und Religionen gegenüber, mit fehlender Neugier, aber auch damit, dass der Hinduismus ein geschlossenes System geschaffen hatte, das alle Fragen beantwortete und die allgemeinen Bedürfnisse befriedigte.
Bis Mitte des 20. Jahrhunderts haben viele 'westliche' Autoren Indien nie mit eigenen Augen gesehen. Diese Literaten nahmen für sich in Anspruch, das Land "mit der Seele bereist" zu haben. Es entstanden Romane, gespickt mit Phantasiebildern, die von extremer Verklärung bis hin zu Verachtung reichten.
Da Reiseliteratur keinesfalls statisch, sondern ständigen Veränderungen ausgesetzt ist, wäre die Überlegung zu ergründen, wie der lebendige Literaturaustausch zwischen Indien und Deutschland inspiriert und bereichert werden kann. Noch immer wird in der Forschung verstärkt davon ausgegangen, dass sich Reisende nur durch die Distanz zur Selbst- und Fremdheitserfahrung der eigenen Kultur nähern können. Die Beschäftigung mit veralteten Topoi, wie der Eigenwahrnehmung in der Fremde oder der Darstellung der eigenen Betroffenheit, liegt daran, dass sich Literaturwissenschaftler weniger auf neue Betrachtungsperspektiven konzentrieren als auf die Kontrastierung kultureller Differenzen. Dieser Aspekt steht in engem Zusammenhang mit der Verweigerung, autobiographische Texte als Quellen der Literatur anzuerkennen, und sie dem Vorwurf auszusesetzen, bloße Eigendarstellung zu sein, zu der keine objektive Analyse möglich sei.
Die Reiseliteratur ist tot. Es lebe die Reiseliteratur!
Trotz des immer stärker aufkommenden Massentourismus seit Mitte des 20. Jahrhunderts kann nicht davon ausgegangen werden, dass Reiseliteratur als literarische Gattung an Wert verliert. Im Zeitalter der Massenmedien liegt die Herausforderung darin, aus der Fülle von Informationen Neues herauszufiltern. Wenn anerkannt wird, dass die entstehenden Texte auf subjektiv und individuell geprägten Erkenntnissen beruhen, können sie in ihrer unterschiedlichen Darstellungsform ein breites soziokulturelles Gesamtbild formen. Deshalb werden immer häufiger deutsche Schriftsteller als Stadtschreiber bzw. Writers in Residence nach Indien eingeladen. Der indische Schriftsteller Kiran Nagarkar, der als Stipendiat des DAAD 2007/08 in Berlin war, hat seine Eindrücke in Artikeln der "Süddeutschen" verfasst, Amit Chaudhuri schrieb mehrmals im "Telegraph" über Deutschland.
Gegen die Verdrängung von Reiseliteratur beispielsweise durch den Massentourismus spricht nicht nur der wachsende Absatz, sondern auch die steigende Anzahl von Werken mit Reisebeschreibungen, die den Buchmarkt bereichern. Andererseits muss bedacht werden, dass wesentliche Informationen schnell im Internet recherchiert werden können. Die ins Netz gestellten Informationen haben den Vorteil, zeitnah auf Phänomene und Ereignisse reagieren zu können. Zusätzlich bietet das Internet die Möglichkeit, ohne finanziellen Aufwand individuelle Erfahrungen zu veröffentlichen. Deshalb wird diese Literatur sicher aus den Regalen der Buchläden verdrängt, jedoch nicht aus der Öffentlichkeit, da die Medien ihre Verbreitung unterstützen werden - wenn auch nicht in konventioneller Buchform. Die neuen Informationstechniken ebnen einen direkten Weg zum Konsumenten. Durch Blogs und Twitter, die eigene Homepage, aber auch durch die Herausgabe der Texte in Eigenverlagen wird zukünftig sogar mehr Reiseliteratur produziert werden. In diesem Zusammenhang ist der Artikel Jens Jessens in der "Zeit" vom 22.07.2010 anregend, in dem er erklärt, dass eine reale Einschätzung zum Leseverhalten nur dann gewährleistet werden kann, wenn Untersuchungen sich nicht mehr nur auf Druckmedien konzentrieren. Stattdessen sollten sie stets das Internet als neue Ausdrucksform berücksichtigen, auf das sich die Aufmerksamkeit zunehmend verlagert. Auch die aktuellen Feuilletons geben einen Hinweis darauf, dass Reiseliteratur keineswegs dem Untergang geweiht ist. Trotz der Wirtschaftskrise wird am Reiseberichtteil großer Wochen- und Tageszeitungen nicht gespart. Dort finden sich nach wie vor Berichte zu den verschiedensten Orten Indiens: Eine Reise in die Wüste Thar, eine Rajasthantour in 15 Tagen, der spirituelle Norden oder der entspannende Süden. Beendet werden die Reisebeschreibungen mit Informationen zu möglichen Reiseanbietern. Die Koppelung an Werbung für Pauschal- und Individualreisen verdeutlicht den wirtschaftlichen Faktor dieser Literatur.
Auch wenn oftmals apodiktisch erklärt wird, Reiseliteratur habe als literarische Gattung keine Zukunft, wird sie nicht aussterben. Sie wird sich den Publikumsbedürfnissen anpassen und als vielgelesene Gattung weiterhin exististent sein, denn nach wie vor wird ihr die Aufgabe zugeschrieben, neben Darstellungen und Beobachtungen zu fesseln. Um mit den Worten Müllenmeisters (2000) abzuschließen: "Noch lohnt es sich, trotz allem zu reisen. Und immer noch dürfte es eine ehrgeizige und lohnende, eine schwierige, aber lustvolle Aufgabe sein, Reiseberichte zu schreiben."
Agyeya, Sachchidanand Vatsyayan: Ek Boond Sahasa Uchchali. Bharatiya Jnanpith. Neu Delhi 1960.
Bharati, Dharamveer: Yatra Charkra. Vani Prakashan. Neu Delhi 1994.
Chaudhri, Vidha: Jarmany. Ek bharatiya grihini ki nazar me. Cinmay Nanpith. Neu Delhi 2006.
Chaudhri, Parsanath: Ek bharatiya grihini ki nazar me. North South Publications. Agra 1982.
Jessen, Jens: Hurra, wir lesen noch! In: Die Zeit vom 22.07.2010. S. 39.
Mehta, Alok: Safar suhana duniya ka. Samayik Prakashan. New Delhi 2007.
Rajagopalan, Usha: Neuschwanstein: The dream castle. In: Indian Literature. Sahitya Akadami's Bi-monthly journal Nr. 218. Mov-Dec. 2003.
Verma, Nirmal: Cheeron Par Chandani. Rajkamal Prakashan. Neu Delhi 1964.
Verma, Nirmal: Indien und Europa. Drei Essays. Lotos Verlag Roland Beer. Berlin 2006.
Müllenmeister, Horst Martin: Poesie der Verfremdung. Wünsche an den Reisebericht 2000. In: Erzdorff, Xenia von (Hrsg.): Beschreibung der Welt. Zur Poetik von der Reise- und Länderberichte. Vorträge eines interdisziplinären Symposiums vom 8. bis 13. Juni 1998 an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Rodopi Verlag. Amsterdam, Atlanta 2000, S. 497-520.
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