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22. August 2010. Analysen: Geschichte & Religion - Südasien Kolonialisierung als Lernprozess (III)

B) Die Holländer

Die Holländer traten anfänglich, seit 1596, in der Form konkurrierender Handelsexpeditionen, sehr bald aber auf der Grundlage einer Monopolhandelsgesellschaft, der VOC, in den alten und neuen Asienhandel ein: von Anfang an segelten sie im Rahmen des neuen Transportsystems, frühzeitig allerdings in Asien auf einer neu entdeckten Passage, den "Roaring forties". Dieses Windsystem trug sie in Gegenden, die außerhalb des Schwerpunkts des portugiesischen Netzwerks lagen, in die Javasee und zu den indonesischen Inseln. Hier, im heutigen Indonesien, sicherten sich die Holländer den Zugang zu den Anbaugebieten zweier der drei wertvollsten (Edel-)Gewürze, Nelke und Muskatnuss. Hier in der Javasee errichteten sie bald Stützpunkte und kontrollierten die Hafenplätze. Erst in der Mitte des 17. Jahrhunderts, nach 1656, sicherte sich die VOC mit Hilfe der Kontrolle über die ceylonesischen Küstengebiete und durch die Übernahme Colombos das Handelsmonopol über das dritte Edelgewürz, den Zimt, und sie engagierte sich jetzt auch zunehmend im Pfefferhandel und im Handel mit indischen Stoffen - an der Malabarküste und in weiteren indischen Hafenplätzen.

Die Holländer umgingen damit sowohl das alte wie das neue Handelssystem. Sie sicherten sich den Zugang zu lukrativen Quellen des Asienhandels, zunächst aber nicht zu den Handelsplätzen. Sie segelten in Asien auf neuen Passagen und umgingen zunächst die Stützpunkte des Estado da India.

Die dreifache Behinderung, die die Portugiesen erst zum kalkulierten Einsatz von Gewalt zwang und dann die gewalttätige Intervention darauf ausrichtete, das alte System zu kontrollieren, zu nutzen und zu erhalten, bestand für die Holländer nicht. Als Nachzügler verfügten sie über die einmalige Chance, die Fehler ihrer Vorgänger nicht wiederholen und deren Erfahrungen nicht bezahlen zu müssen. Zusätzlich verfügten sie als Gruppe von Händlern in einer Nation von Händlern über die Tradition eines rentabilitätsbezogenen Schiffsbaus. Wir haben bereits gesehen, wie sich diese Vorteile rasch bei der Verkürzung der Segelpassagen und des Eigengewichts des Schiffes niederschlugen. Die neue Route konnte damit unter ihrer Regie von Anfang an zu einer gefährlichen Konkurrentin für die alte werden. Als Gruppe von Händlern in einer Nation von Händlern verfügten sie in einem außerordentlichen Maße über Kapital und Zugang zu den europäischen Kapitalmärkten. Und in einem dritten entscheidenden Schritt mussten sie keinen ungehinderten Zugang zu den Märkten oder Hafenstädten Asiens suchen: dank dem, durch die Vorrangstellung der Portugiesen gewonnenen geographischen, navigatorischen und merkantilen Wissen segelten sie anfänglich ausschließlich in die Anbaugebiete der Edelgewürze. In dreifachem Kontrast also gegenüber ihren Vorgängern verfügten die Holländer damit über eine Wettbewerbsfähigkeit der neuen Route, über Kapital und die Fähigkeit, mangelnden Zugang zu den Märkten durch den Zugang zu den Anbauregionen kompensieren zu können. Zusätzlich zwang der merkantile Hintergrund ihrer Trägergruppen und vor allem ihre Organisation in gewinnorientierten "Reedereien" sie dazu, diese drei Vorteile ins Spiel zu bringen. Tradition und Organisation zwangen sie zum Einsatz und zur Maximierung dieser technischen, finanziellen und ökonomischen Chancen.

Die Holländer operierten auf der Basis der Organisationsform der "Reederei", seit Beginn des 17. Jahrhunderts entwickelte sich daraus die auf Anteilseigner gegründete Handelsgesellschaft. Die Händler waren gezwungen, Gewinne zu machen, Dividenden auszuschütten und zu reinvestieren. Weder hatten sie das Recht und das Interesse, noch hatten sie es nötig, sich auf kriegerische Auseinandersetzungen einzulassen. Damit war die Möglichkeit gegeben, dass sie im Rahmen ständiger technischer, wirtschaftlicher und organisatorischer Verbesserungen mehr und billigeren Frachtraum bereitstellten solange sich mehr und neue Asienprodukte in Europa mit Gewinn absetzen ließen. Gewinninteresse und Profitzwang bewirkten, dass nicht nur steigende Warenmengen der alten Route in den Bereich der neuen gelangten, sondern dass völlig neue Produkte in den Gewinnbereich dieses neuen Asienhandels gebracht wurden. Sie führten weiterhin dazu, dass die VOC schließlich in die alte (See-)Routen, in den Küstenhandel und in die Märkte eindrangt, eine Hegemonialstellung erwarb und zum (See-)Spediteur Asiens wurde. Unter den Holländern konnte damit neben einer Relokalisierung auch eine Größensteigerung des Asienhandels einsetzen. Der eventuellen Realisierung dieser Chancen, also der "Economies of Scale", Ausweitung und Diversifizierung standen nun aber Probleme gegenüber, die völlig anders geartet waren als diejenigen, mit denen man sich bisher auseinander setzen musste.

Wie konnte die nun technisch mögliche fortdauernde Steigerung des Warentransports mit den aus ihr notgedrungen resultierenden neuen Problemen des Massenabsatzes, der Preispolitik, der Nachfragesteuerung und Bedürfnisveränderung fertig werden? Wie ließ sich diese mit dem technischen Durchbruch entstehende ökonomische Problemlage meistern? Bereits 100 Jahre nach dem Eintritt der Portugiesen in den Asienhandel segelten bereits 15 Flotten der Holländer mit mehr als 60 Schiffen getrennt in die Javasee, um mit Gewürzen beladen zurückzukehren, die auf den europäischen Märkten mit Gewinn verkauft wurden. Die Holländer zeigten damit, dass auf der Basis ihrer neuen technischen Problemlösungen und einer auf Rentabilität ausgerichteten Betriebsform die neue Route aus sich selbst heraus jene Wettbewerbsvorteile und Gewinnchancen generierte, die sie gegenüber der alten zum Durchbruch bringen konnten. Die Frage stellt sich allerdings, wie lange diese Steigerung im Rahmen unabhängig und gegeneinander operierender Händlergruppen, also auf der Basis eines scharfen wechselseitigen Wettbewerbs aufrecht erhalten werden konnte. Damit eine fortlaufende Steigerung des Frachtvolumens unter Vorherrschaft der Niederländer möglich wurde, musste ein System gefunden werden, das dauerhafte und berechenbare Gewinne, ebenso wie die Reinvestition dieser Gewinne in den Asienhandel sicherstellte.

Die Antwort auf dieses doppelte Problem war der Monopolhandel. Alle 15 verschiedenen, oft zeitlich befristeten und auf verschiedene Handelstädte Hollands verteilten Handelsgesellschaften wurden um 1603 zu einer Monopolhandelsgesellschaft vereinigt. Dieser Gesellschaft wurde nicht nur das exklusive Recht des Verkaufs der Asienprodukte in Holland, sondern zugleich das Exklusivrecht auf Einkauf und Handel übertragen. Nur diese Organisation, kein anderer Holländer, durfte Asienprodukte einkaufen, transportieren, verkaufen. Die Monopolhandelsgesellschaft hatte also, indem sie über ein auf Holländer ausgerichtetes dreifaches Monopol verfügte, zugleich eine - was Holländer betraf - globale Reichweite. Im Verlauf des 17. Jahrhunderts wurde die VOC nicht nur zum größten privaten Schiffseigentümer der Welt, sondern auch zum größten privaten Besitzer von Handelsstützpunkten, schließlich von Territorien und Armeen. Denn die VOC gab sich sehr rasch nicht nur mit dem Einkaufs-, Transport- und Verkaufsmonopol zufrieden. Durch die militärische und administrative Übernahme der Zimt-, Nelken- und Muskatanbaugebiete fügte sie bezüglich dieser Produkte ihrem holländischen Handelsmonopol ein asiatisches, in der Wirkung globales, Produktionsmonopol hinzu 1 . Für die Lösung der Transport- und Vermarktungsprobleme bietete dieses System des erweiterten Monopolhandels evidente Vorteile:

Auf der Basis noch kleiner, regional zersplitterter, wenig transparenter Märkte, gekennzeichnet von freier und unberechenbarer Konkurrenz und bei Transportstrecken, die sich über 20.000 Kilometer und 8 Monate ausdehnten, würde ein freier Handel die unberechenbaren Preisfluktuationen die die Handelsplätze des alten Systems kennzeichneten, in das neue übertragen. Diese Märkte fluktuierten in einem Dauerzustand des zuviel oder zu wenigen, zu billigen und zu teurem. Freie Konkurrenz zwischen technisch überlegenen neuen, holländischen Händlern würde die Einkaufspreise nach oben, die Verkaufspreise nach unten drücken und die Gewinnspannen verringern. Die Unberechenbarkeit der Preisfluktuation würde darüber hinaus geringere Gewinnspannen unkalkulierbar machen. Der Handel könnte die für seinen Ausbau notwendigen Gewinne und Investitionen nicht hervorbringen; das verfügbare (Handels-)Kapital würde dagegen rentablere Investitionsziele vorziehen. Das sich selbst tragende, sich selbst finanzierende Wachstum der neuen Route käme zum Stillstand. Der Monopolhandel konstituierte dagegen jenes wirtschaftliche Regulativ, das über die Gewinnsicherung auch die Reinvestition und damit die Steigerung und Verbilligung des Frachtraums im Rahmen der neuen Route sicherte - über fast zwei Jahrhunderte 2 . Die dank dem Monopolmarkt berechenbaren Gewinne machten damit technische und wirtschaftliche Entwicklungen, Experimente, Anstrengungen und Investitionen, wenn nicht planbar, so doch möglich. Wie die erhaltenen Zahlenreihen zeigen, gelang es der VOC zumindest auf dem holländischen Markt, trotz des Modus des Auktionsverkaufs die Preisgestaltung auf Jahre hinaus stabil und damit berechenbar zu machen. Da sie die Preise nicht direkt diktieren konnte, so muss sie die Verkaufspreise durch eine Manipulation des Angebots und der Nachfrage regulieren.

Während das Letztere ein feinmaschiges Netz von Vertrauensleuten und Kennern nicht nur der holländischen, sondern auch der europäischen Märkte voraussetzte, verlangte das Erstere organisatorisch aufwendige Produktionskontrollen und Lagerhaltung: die VOC musste den Bestand der Gewürzbäume und Pflanzen regelmäßig erfassen; sie musste verhindern, dass lokale Potentaten, Bauerngruppen, Händler ihr Anbaumonopol unterliefen und eigene Pflanzungen heimlich anlegten; sie musste diese Widersacher bespitzeln und periodisch sogenannte "Ausrottungskampagnen" durchführen; sie musste im Falle reichhaltigen Wachstums den Überschuss einlagern oder verbrennen. Die Aufrechterhaltung dieses Produktionsmonopols und der laufenden Produktionskontrollen erforderte deshalb den Aufbau eines Netzwerkes von Lagerhäusern, Sammelstellen, kanonenbestückten Forts, Patrouilleflotten und Informanten, ebenso wie "Stillegungsprämien" an mächtige einheimische Herrscher. Beide Aufgaben, die Produktionskontrolle und die Absatzkontrolle eines globalen Monopolprodukts, stellten Verwaltungsaufgaben dar, die in dieser Größenordnung bislang noch nie von einer einzelnen privaten Händlergruppe in Angriff genommen worden waren.

Der durch Angebots- und Nachfragesteuerung ausgelöste Zwang zur Einführung bürokratischer Mechanismen verstärkte sich aber noch durch den Zwang, beide Aufgaben über eine extreme Raum- und Zeitdistanz zu "synchronisieren". Nicht nur im Bereich der Fixkosten, der "sachlichen Betriebsmittel", sondern auch in der internen bürokratischen Entwicklung stellte die VOC deshalb alle zeitgenössischen Händler-, Monopol- und Aktiengesellschaften in den Schatten. Um 1700 verfügte die VOC in Asien über eigene Flotten, mehr als 40 Forts, drei befestigte Städte, zahlreiche eigene Werften und Lagerhaltungen. Die Bewegungsabläufe innerhalb dieses Monopolsystems wurden mit Hilfe eines mehr als 30.000 Angestellte umfassenden Personalstabs gesteuert, dessen Ordnungsstruktur eine verwirrende Mischung bürokratischer und traditionaler Elemente aufwies. Alle Verwaltungs- und Entscheidungsabläufe mussten schriftlich festgehalten und bei Ablauf des Anstellungsvertrages der Führungsgruppe vorgelegt werden. Vor allem aber verfügte die VOC über ihr eigenes Rechtssprechungs- und Strafvollzugssystem. Nicht nur über die Lektüre der Tagesprotokolle, der Gerichtsakten und der Anbauzahlen vermochte die Amsterdamer Eigentümergruppe eine Kontrolle aufrecht zu erhalten, alle 10 Jahre wurde zusätzlich eine Inventarisierung des gesamten Netzwerkes der Niederlassungen vorgenommen. Sowohl Angestellte wie Niederlassungen waren in eine eindeutige Hierarchie eingeordnet. Jeder dieser Rangebenen waren spezifische Gerichtskompetenzen zugesprochen. Nicht nur intern, sondern auch nach außen wurden die Bewegungsabläufe berechenbar reguliert und rechtlich abgesichert: über die Monopolcharta und vielfältige Handels- und Tributverträge 3 .

Wie die erhaltenen Preisserien nun zeigen, nutzte die VOC ihr Monopol nicht zur Erzielung exorbitant hoher und damit spekulativer Gewinne. Als Staat im Staate suchte die VOC vielmehr relativ hohe, vor allem aber berechenbare Preise und Gewinne zu sichern. Sie wollte und musste gegenüber ihren mächtigen Anteilseignern - die immer auch Staatsfunktionen bekleideten -, gegenüber dem Staat, der Öffentlichkeit und dem Markt berechenbar bleiben 4 . Auf der Basis des Gewürzhandels entstand deshalb ein erster sowohl großen als auch kalkulierbarer Markt für Überseeprodukte. Die Kontrolle über diesen Monopolmarkt versetzte die VOC in die Lage, zusehends auch Produkte nach Europa zu bringen, für die sie entweder kein doppeltes Monopol hatte oder für die anfänglich keinerlei Bedürfnis vorhanden war, für die sie also entweder Konkurrenz auf der Angebots- oder Desinteresse auf der Nachfrageseite annehmen musste. In der Entwicklung des Kaffee- und Textilhandels und der damit entsprechenden Entstehung von weiteren großräumigen und stabilen Märkten, zeigte sich deshalb später und indirekt ein weiteres Mal die Bedeutung des Monopols. Das vollständige Gewürzmonopol bildete den Gewinnsockel und Schutzschirm der VOC. Dank ihm konnten laufend neue Produkte zu anfänglich geringem Gewinn nach Europa gebracht werden. Damit erschöpfte sich aber nicht die Wirkung dieses ersten internationalen großen und berechenbaren Marktes. Parallel zu seiner Steigerung und Vielfalt und oft in einem unentwirrbaren Verbund wechselseitiger Interessen entwickelten sich die künftigen Kredit- und Kapital-, Aktien- und Versicherungsmärkte. Sie wurden schließlich zur Voraussetzung und Folge der ständig gesteigerten Warentransaktionen.

Der kommerziellen Revolution des 17. Jahrhunderts folgte die finanzielle Revolution des 18. Jahrhunderts. Zugleich neigte die Struktur dieser Märkte dazu, sich zu vervielfältigen. Der holländische Markt war klein, die Niederlande bildeten nicht nur ein europäisches, sondern auch ein internationales Entrepôt. Vor allem die im Kernbereich gewissermaßen komplementär operierende Westindische Monopolgesellschaft begann mit dem transatlantischen Re-Export der Asienprodukte. Die Struktur dieser großen und transparenten Monopolmärkte begann sich damit zu vervielfältigen. Nach Lösung der technischen Probleme, die einem massenhaften Warentransport entgegenstanden, lösten die Holländer mit dem Instrument des Monopolhandels auch die wirtschaftlichen Probleme, die einem Mengentransfer, einer Steigerung und Diversifizierung der Gütermengen entgegenstanden: das Monopol verringerte nicht nur die Unberechenbarkeit der Märkte, es bildete die Voraussetzung für die Entstehung immer neuer, weitgespannter und auf Massenprodukte gestützter Märkte.

Damit haben wir einen vorläufigen Endpunkt erreicht. Wir müssen nun lediglich unseren Gesichtspunkt noch einmal kurz erweitern, sowohl über den Zeitraum des 17. Jahrhunderts als auch über die Gruppe der Holländer hinausblicken. Warum, so müssen wir uns fragen, schreitete auch nach dem parallelen Niedergang der Portugiesen und dem alten Handelssystem etwa gegen Mitte des 17. Jahrhunderts die Entwicklung des neuen Asienhandel stets weiter fort? Eine Antwort darauf ermöglicht das Bild, das der Asienhandel im 18. Jahrhundert bot. In diesem Jahrhundert trieben mehr als drei europäische, "nationale" Monopolhandelsgesellschaften, vor allem in Südasien, nicht nur Handel, sondern übten in wachsendem Maße territoriale Kontrolle aus 5 . Nach dem Niedergang der asiatischen und portugiesischen Rivalen war damit im Rahmen des neuen Transportsystems selbst ein neuer, sich ständig verstärkender wirtschaftlicher und politischer Konkurrenzmechanismus etabliert. Zwar operierten die Gesellschaften in Europa in monopolistisch reservierten Zonen, aber im Bereich der asiatischen und der transatlantischen Re-Exportmärkte lagen sie in einem scharfen Wettbewerb. Das nationale Monopol verhinderte nicht die internationale Konkurrenz. Ein Wettstreit bestand, bei dem in Südasien die englische Monopolgesellschaft, die "East India Company", als Sieger hervorging, allerdings um den Preis, später auf ihren Monopolhandel verzichten zu müssen.

Die durch die Organisationsform des Monopols freigesetzten technischen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen zerstörten die Notwendigkeit und Rechtfertigung des Monopolhandels. Aus den kleinen und unberechenbaren Luxusmärkten des 16. Jahrhunderts waren jetzt die großen und transparenten Massenmärkte des 18. und 19. Jahrhunderts entstanden. Neue Märkte, Berechenbarkeiten und ökonomische und politische Rahmenbedingungen waren entstanden, die Handelsmonopole als unnötig entwicklungshemmend und anachronisitisch erscheinen ließen. Der Asienhandel des 19. Jahrhunderts entwickelte sich unter dem Dogma des Freihandels und im Rahmen völlig neuer wirtschaftlicher und politischer Interessen - im Rahmen einer industriellen, kapitalistischen und bürgerlichen Transformation.

Hatte die Entwicklung des Asienhandels im 17. Jahrhundert mit zur kommerziellen und im 18. Jahrhundert mit zur finanziellen "Revolution" beigetragen, so verselbständigten sich diese beiden Transformationen inzwischen: sie waren Konsequenz und Antriebsmoment nicht nur des gesamten westeuropäischen, vor allem englischen Kolonialhandels, sondern auch der binnenwirtschaftlichen Entwicklung. Zumindest eine indirekte Folge dieser beiden Revolutionen war die industrielle: die im Asienhandel, in der (östlichen) "mittleren Zeitzone", einsetzenden Lern- und Innovationszwänge trugen maßgeblich, wenn auch zunehmend unspezifischer zu Innovationsschüben, zu "Revolutionen" bei, aus denen die industrielle schließlich (mit-)resultierte. Globale Handels- und Finanzsysteme waren jetzt im Entstehen begriffen, sie wurden von einer industriellen Transformation vorausgesetzt und ausgebaut. Nach der Kolonialisierung zeigte sich nun Industrialisierung als unausweichlicher Lernprozess und die Innovationen und Interessen des (westeuropäischen) Industrie- und Territorialstaates gaben jetzt dem Asienhandel die Mittel und Ziele vor - die Mittel der bürokratischen und militärischen Technik und das Ziel der territorialen Annexion.

 

Fussnoten

[ 1 ] C. R. Boxer: The Dutch ..., S. 22-25.

[ 2 ] Darstellung der "Peddling markets": N. Steensgard: op.cit., S. 42-59; Darstellung des Monopolmarktes: ibid., S. 141-153.

[ 3 ] Beste Inventarisierung der V.O.C. und Darstellung ihrer internen bürokratischen Struktur in englischer Sprache: J. Sp. Stavorinus: Voyages to the East Indies, 3 Vols., London 1798.

[ 4 ] Vergleicht man etwa die Pfefferpreise über einen Zeitraum von 3 Jahren und Monat für Monat auf einem Markt des alten Systems - Venedig, 1588 bis 1590 - mit den Preisen auf einem Monopolmarkt des neuen Systems - Amsterdam, 1624 bis 1626 - so zeigt sich der folgende Unterschied: Auf dem venezianischen Markt schwankt der Preis über die 3 Jahre in einem Bereich von über 30%, im Jahresdurchschnitt schwankt er von Monat zu Monat im Bereich von 5 bis 10%. Auf dem Amsterdamer Markt bleibt der Preis für die ersten 2 Jahre völlig unverändert, um zu Beginn des letzten Jahres um 20% zu sinken, aber anschließend auf diesem Niveau stabil zu bleiben. N. Steensgard: op.cit., S. 55 und 150.

[ 5 ] Die beste topographische Darstellung der neuen Qualität, die der europäische Asienhandel im 18. Jahrhundert erhält, findet sich bei: Auguste Toussaint: L'Ocean Indien au XVIIIe. siècle, Paris 1974.

 

Dieser Beitrag gehört zum Schwerpunkt: Südasien-Experten Spezial: Jakob Rösel .

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