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12. Dezember 2008. Analysen: Indien - Politik & Recht Halbfinale vor der Unterhauswahl in Indien: Siegeszug der BJP gestoppt?

Congress gewinnt drei von fünf Landtagswahlen

Die Wahlen fanden im Zeichen von Inflation, wirtschaftlichen Einbrüchen und den Terroranschlägen in Mumbai statt. Überraschend gewann die auf Bundesebene regierende Congress-Partei in drei der fünf Landtagswahlen. Damit beendete die Partei wenige Monate vor der Parlamentswahl ihre große Niederlagenserie der letzten Jahre. Die Bharatiya Janata Party (BJP) behauptete sich als Regierungspartei in Madhya Pradesh und Chattisgarh mit sicheren Mehrheiten.

Die Wahlen wurden von lokalen Themen beherrscht, selbst die Terroranschläge in Mumbai spielten nur eine zweitrangige Rolle. Die Bahujan Samaj Party (BSP), trotz Stimmengewinnen, und andere Parteien vermochten es nicht, die Phalanx der beiden großen Parteien aufzubrechen.

In Delhi gewann Ministerpräsidentin Sheila Dikshit zum dritten Mal hintereinander. Im Wüstenstaat Rajsthan obsiegte der Congress ebenso wie im nordöstlichen Manipur als Oppositionspartei. Die 72-jährige Ministerpräsidentin Sheila Dikshit schaffte einen überraschenden Hattrick. Sie stellte ihren Wahlkampf unter das Motto "Kontinuität und städtische Entwicklung", nachdem sie zuvor weitgehend freie Hand von Parteipräsidentin Sonia Gandhi bei der Auswahl der aufgestellten Kandidaten in dem von Flügelkämpfen geplagten Congress erhalten hatte.

Der Congress verlor zwar 7,8 Prozent der Stimmen gegenüber 2003 (48,1 Prozent), aber die 40,3 Prozent der Stimmen reichten für eine absolute Mehrheit von 43 Sitzen (2003: 47). Die BJP konnte sich, entgegen ihren Erwartungen, nur von 35,2 Prozent auf 36,4 Prozent der Stimmen und damit von 20 auf 23 Sitze verbessern. Die BSP, die einen intensiven Wahlkampf führte, verbesserte ihren Stimmenanteil von 5,8 auf 13,8 Prozent, dies reichte unter den Bedingungen des Mehrheitswahlrechts aber nur zu zwei Mandaten. Allerdings konnte die BSP in 19 Wahlkreisen der Hauptstadt über 20 Prozent der Stimmen verbuchen.

"Mini-India" bestätigt den Congress erneut in Delhi

Der 77-jährige BJP-Spitzenkandidat Vijay Kumar Malhotra, ein Kompromisskandidat und "Hindutva-Hardliner", vermochte es nicht, eine Beziehung zur liberalen Mittelklasse in Delhi herzustellen. Dagegen fand Dikshit, "zunehmend eine Kultfigur für junge und weibliche Wähler in der Hauptstadt" (Mail Today), Zuspruch, auch unter den etwa 40 Prozent Zugewanderten aus dem östlichen Uttar Pradesh, Bihar, Uttharakand und Südindien – einem veritablen "Mini-Indien" innerhalb der Hauptstadt. Die Wahlbeteiligung lag bei 57,68 Prozent.

Trotz umstrittener Entscheidungen für den Buskorridor und das Versiegeln von illegalen Geschäftsräumen in einer Stadt, wo bis zu 80 Prozent der Bauten nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprechen, vermochte es Sheila Dikshit, die Wähler auch von ihren Erfolgen zu überzeugen, so zum Beispiel von der partnerschaftlichen Zusammenarbeit von staatlichen Behörden und ziviler Bevölkerung in den Wohnkolonien („Bhagidari“). Außerdem kamen die beträchtlichen Gehaltserhöhungen für staatliche Angestellte (6th Pay Commission) dem Congress zugute.

Die BJP präsentierte dagegen keine Vision für die Stadt. BJP-Spitzenkandidat Vijay Kumar Malhotra betonte, die Regularisierung von illegalen Kolonien sowie Änderungen im Master Plan für den Großraum Delhi hätten dem Congress sehr geholfen. Die Allianz mit der Bauernpartei Akali Dal, mit der die BJP im Punjab als Juniorpartner regiert, führte in vier Wahlkreisen zu keinem einzigen Mandat. Die Muslime entschieden sich mehrheitlich für den Congress.

Machtwechsel in Rajasthan

Vasundhara Raje, die Ministerpräsidentin von Rajasthan, wird wegen ihres Führungsstils für die Niederlage der BJP in Rajasthan verantwortlich gemacht. Sie kommt aus dem Hause der Scindias im ehemaligen Fürstenstaat Gwalior und entfremdete sich von einigen Spitzenpolitikern in Rajasthan, so dem ehemaligen Außen- und Finanzminister Jaswant Singh, der nicht in den Wahlkampf eingriff. Auf Distanz ging auch die hindu-nationalistische Kaderorganisation Rashtriya Swayamsevak Sangh (Nationales Freiwilligen-Korps/RSS), die oftmals das organisatorische Rückgrat für die BJP in Wahlkämpfen darstellt. BJP-Generalsekretär Arun Jaitley, der als Wahlkampfleiter in der Vergangenheit dem Congress empfindliche Niederlagen in einigen Staaten zufügte, kommentierte dies im Fernsehen damit, dass das Haus der BJP in Rajasthan offensichtlich nicht in Ordnung gewesen sei. Allerdings hatten dort beide Kontrahenten mit beachtlicher Dissidenz in ihren Reihen zu kämpfen. Es habe keine Koordination zwischen der Regierung und der Partei gegeben, so der ehemalige BJP-Präsident Venkaia Naidu.

Von der Congress-Partei wurde der Ministerpräsidentin Nepotismus und Korruption vorgeworfen. Die teilweise gewalttätigen Agitationen der Vieh züchtenden und teils nomadisierenden Gujjars, die eine Rückstufung ihres Status vom OBC- zum ST-Status forderten, schadeten dem Ansehen der Ministerpräsidentin. Die OBC's sind als "Einheit" (siehe MBC's) die größte Gruppe der indischen Gesellschaft. Als Folge dieser Agitation entfremdete sich die Ministerpräsidentin weitgehend sowohl von den ethnischen Gruppen der Meenas als auch der Gujjars.

Der Congress verbesserte sich von 56 (2003) auf 96 Sitze, während die BJP von 115 (2003) auf 78 Sitze zurückfiel. Die BSP gewann bei einem Stimmenanteil von circa 8 Prozent sechs Sitze. Die Communist Party of India/Marxist (CPI/M) konnte drei Sitze gewinnen. Der Congress verfehlte die absolute Mehrheit knapp. Mittlerweile traten acht der unabhängigen Abgeordneten offiziell in den Congress ein, sodass eine absolute Mehrheit garantiert zu sein scheint. Die Wahlbeteiligung lag bei 66,44 Prozent.

Allerdings gaben Vertreter der wirtschaftlich einflussreichen Bauernkaste der Jats der Parteiführung zu verstehen, dass sie statt des früheren Ministerpräsidenten Ashok Gehlot einen Vertreter ihrer Kaste vorziehen würden. In 10 von 25 Unterhaus-Wahlkreisen spielen Jats eine entscheidende Rolle, die über Sieg oder Niederlage eines Kandidaten entscheiden kann. Gehlot konnte sich jedoch nach heftigen Diskussionen in einer Abstimmung innerhalb der Parlamentsfraktion für das Amt des Ministerpräsidenten durchsetzen, sodass seiner Wahl nichts mehr im Wege stehen dürfte.

Madhya Pradesh und Chhattisgarh: Good Governance zahlt sich für die BJP aus.

Madhya Pradesh: Der Congress hoffte, mit dem Rückenwind des berüchtigten "anti-incumbency"-Faktors, das heißt, dass Landesregierungen fast in der Regel nach einer Legislaturperiode abgewählt werden, die BJP-Zitadellen Madhya Pradesh und Chhattisgarh stürmen zu können. In Madhya Pradesh - dort ist der Congress notorisch in von persönlichen Loyalitäten bestimmte und sich wechselseitig bekämpfende Fraktionen gespalten - fand sich kein gemeinsamer Herausforderer für den amtierenden Ministerpräsidenten Shivraj Singh Chouhan, Sohn eines OBC-Bauern. Insgesamt fünf Congress-Politker machten sich Hoffnung auf das höchste Amt im Staat. Chouhan galt in der Wahrnehmung der Wählerschaft als recht "sauber" und zeichnete sich durch die erfolgreiche Durchführung größerer Straßenprojekte aus.

Der Ministerpräsident nahm dem Unmut von Teilen der Wählerschaft dadurch den Wind aus den Segeln, dass er nicht weniger als 61 Abgeordnete seiner Partei nicht wieder aufstellte. Auf Seiten des Congress vermochte es keiner der vom Jugendgeneralsekretär Rahul Gandhi und seinem Team ausgesuchten jüngeren Politiker ein Mandat zu erobern.

Trotz Stimm- und Sitzverlusten konnte sich die BJP mit 143 Mandaten (2003: 173) klar vor dem Congress mit 71 Sitzen (2003: 38) behaupten. Allerdings gewannen 24 BJP-Abgeordnete mit einem Stimmenabstand von weniger als 500 Stimmen. Die BJP erzielte 42 Prozent der Stimmen, der Congress kam nur auf 35 Prozent. Die BSP verbesserte sich von zwei auf sieben Sitze bei einem geschätzten Stimmenanteil von circa 11 Prozent. Dies dürfte vor allem dem Congress geschadet haben. Großer Wahlverlierer war die Samajvadi Party (SP) des früheren Ministerpräsidenten von Uttar Pradesh, Mulayam Singh Yadaw, die nur noch einen ihrer zuvor 9 Sitze verteidigen konnte. Die frühere BJP-Ministerpräsidentin von Madhya Pradesh, Uma Bharti, die den großen Erfolg 2003 für ihre damalige Partei erzielte, vermochte es mit ihrer Bharatiya Jan Shakti Party (Indische Volksmacht-Partei) nicht, der BJP nennenswert zu schaden. Die Wahlbeteiligung betrug 69,78 Prozent.

Chhattisgarh: Der amtierende Ministerpräsident Raman Singh, von Beruf ayurvedischer Arzt, machte die Verbesserung der Ernährungslage ("Food Security") der Bevölkerung zum zentralen Anliegen seiner Politik. Dieser speziell im Bastar-Distrikt von bewaffneten und sehr aktiven Naxaliten der Communist Party of India (Maoist) betroffene Staat zeichnet sich durch eine weit verbreitete Unter- und Fehlernährung großer Teile der Bevölkerung aus, obwohl der Staat Reisüberschüsse produziert. In diesem Staat mit der drittschlechtesten Ernährungslage setzte Singh durch, dass über das öffentliche Verteilungssystem (Public Distribution System/PDS), dessen Zugänglichkeit er für die armen Teile der Adivasi- und Dalit-Bevölkerung in der vergangenen Legislaturperiode erheblich verbesserte, Reis für drei Rupien pro Kilogramm sowie kostengünstiges Kerosin für die dazu berechtigten Teile der Bevölkerung abgegeben wurde. Der Congress verfügte bis auf den im Rollstuhl seinen Wahlkampf durchführenden Herausforderer Ajit Jogi über keine anderen herausragenden Persönlichkeiten.

Die BJP konnte bei dieser Wahl 50 Sitze (2003: 52) gewinnen, der Congress verbesserte sich trotz allem von 34 (2003) auf 38 Sitze. Die BSP kam mit einem geschätzten Stimmenanteil von 6,5 Prozent auf ganze zwei Sitze. Die BJP gewann in Bastar elf der 12 Sitze, obwohl sie sich im Kampf gegen die Maoisten für die sehr umstrittenen bewaffneten Dörfer (Salwa Judum) einsetzte. Die Wahlbeteiligung betrug 70,58 Prozent.

Congress gewinnt in Mizoram

Lal Thanhawla, ein früherer Ministerpräsident Mizorams, hielt den Congress in zehnjähriger Oppositionszeit zusammen, was nicht in allen Staaten des Nordostens gelang. Sein Engagement zahlte sich nun aus – der Congress fügte der amtierenden Mizo National Front (MNF) eine klare Niederlage zu und gewann mit 32 Sitzen (2003: 12) eine Zweidrittelmehrheit, denn die MNF kam nur auf ganze 4 Mandate (2003: 21). Auf drei weitere regionale Parteien entfielen noch insgesamt 5 Sitze. 82,24 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung machten von ihrem Wahlrecht Gebrauch.

Weichenstellungen bis zur Unterhauswahl 2009

Die BJP hatte sich nach ihrer langen Siegesserie der letzten Jahre bei diesen Landtagswahlen zweifelsohne ein besseres Abschneiden erhofft. Sieht man vom kleinen Nordoststaat Mizoram einmal ab, so ist dieses Halbfinale zwischen den beiden großen Parteien mit begrenzter nationaler Reichweite unentschieden ausgegangen. Drei amtierende Regierungen konnten sich behaupten, gerade auch deshalb, weil sie ihre Regierungsbilanz den Wählern ebenso wie ihre entwicklungspolitischen Zielvorstellungen präsentierten und, im Fall der BJP, auf ein Herauskehren ihrer "Hindutva"-Ideologie verzichteten.

L. K. Advani, erklärter BJP-Anwärter auf das Amt des Premierministers bei einem Machtwechsel in Delhi, vermochte es mit seiner Strategie, den Congress als zu weich im Kampf gegen Terrorismus zu charakterisieren, nicht, die Wähler nennenswert zu beeinflussen – obwohl mehrere Staaten erst nach den schrecklichen Ereignissen in Mumbai wählten. Die lokalen Themen dominierten eindeutig. Es kam nach dem Terror in Mumbai und trotz des sich offen artikulierenden Ärgers über Politiker wegen fehlenden Schutzes der Bevölkerung sogar zu einer höheren Wahlbeteiligung, gerade auch in der indischen Hauptstadt.

Einige Beobachter sprechen davon, dass L. K. Advani mit seiner polarisierenden Strategie in der Terrorismus-Frage nach diesen Ergebnissen einen "Gesichtsverlust" hinnehmen musste. Die BJP müsse deshalb bis zur Unterhauswahl ihre Kampagnen-Themen überdenken. Andere meinen, dass der Congress aufgrund seines selbst von vielen seiner Politiker nicht erwarteten Teilerfolgs eine Verschnaufpause erhalten habe. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob es wirklich zutrifft, wie der junge Congress-Abgeordnete Sachin Pilot behauptete, dass ein Teil der Congress-Erfolge der Fähigkeit des Gewinnens von Wählerstimmen (vote-catching) dem jungen Rahul Gandhi zuzuschreiben sei.

Die Regierung von Premierminister Manmohan Singh kann den Termin für die Unterhauswahl nun in relativer Ruhe aussuchen. Die Wahlkommission deutete den Zeitraum April bis Mai 2009 für die Unterhauswahl an. Der Congress steht auch nicht unter Zugzwang, sich durch spektakuläre und bellikose Handlungen gegenüber Pakistan bei der Wählerschaft zu profilieren, zumal eine Reform der äußeren und inneren Sicherheit unter dem neuen Innenminister P. C. Chidambaran im Interesse der Nation die höchste und unmittelbare Priorität der Regierung genießen dürfte.

In den kommenden Monaten wird es von Interesse sein zu beobachten, zu welchen Wahlallianzen es außerhalb der Staaten mit den Antipoden Congress und BJP kommen wird. Die BJP musste sich bereits Abfuhren in Tamil Nadu von der AIADMK Jayalalithas und in Andhra Pradesh von der Telugu Desam Party unter Chandrababu Naidu einhandeln. Der Congress wird sich verstärkt damit auseinandersetzen müssen, wie die Partei dem Aufstieg der Bahujan Samaj Party in einigen Staaten des nördlichen Indiens begegnet. Denn die BSP, die sich dort, außerhalb von Uttar Pradesh, als dritte Kraft zu etablieren scheint, zieht eindeutig Teile der Congress-Basis ab und verschlechtert damit die Siegeschancen der stärksten Regierungspartei. M. J. Akbar, Herausgeber der Tageszeitung The Asian Age, meinte noch vor dem Bekanntwerden des Ergebnisses in Delhi, dass Sheila Dikshit für den Fall ihres Sieges als Wahlkämpferin und auch anderweitig auf nationaler Ebene angesichts ihres Anklangs bei den urbanen Mittelschichten, der Jugend und den Frauen sogar eine größere Rolle spielen könnte.

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