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Der im Jahr 2002 unterschriebene Waffenstillstand wurde nicht offiziell gekündigt, doch seit der Eskalation der Kämpfe Ende 2005 starben rund 5.000 Menschen. Die durch Offensiven der Armee Sri Lankas bedrängten Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) sorgen seit März ihrerseits mit Luftangriffen der sogenannten Tamil Eelam Air Force für eine neue Dimension im Bürgerkrieg. Somit verfügen die Tamil Tigers über die erste Guerillaluftwaffe der Welt. Fast wöchentlich kommt es zu Seegefechten zwischen der Marine und den Sea Tigers, wobei immer wieder Fischer ins Fadenkreuz gelangen. Dass die LTTE, insbesondere durch ihre Luftangriffe auf Ziele in der Nähe der Hauptstadt Colombo, die Regierung zu Verhandlungszugeständnissen drängen können, scheint unwahrscheinlich. Derzeit befindet sich die Gegenseite sowohl strategisch als auch technisch im Vorteil.
Die Tamil Tigers gelten inzwischen vielerorts als terroristische Organisation; in den USA, Kanada und der EU wurden sie verboten. Die EU bekräftigte Ende Juni nochmals die Einstufung der LTTE als verbotene Organisation. Unterstützt von ausländischen Militärberatern – vor allem aus Pakistan, das Waffen im Wert von 250 Millionen Dollar liefern will – und im Besitz einer modernisierten Luftwaffe glauben Regierung und Militär offenbar, den Konflikt militärisch lösen zu können – zumal sie mit dem ehemaligen Tigers-Kommandanten Karuna einen wichtigen Verbündeten im tamilischen Lager gefunden haben.
In dem östlichen Landesteil war es Karuna während seiner 20jährigen Laufbahn in den Reihen der LTTE immer wieder gelungen, die Armee zurückzudrängen. Seine militärischen Erfolge beschieden Karuna einen schnellen Aufstieg in der Guerillaorganisation. Dass eine Karriere bei den Tamil Tigers, die einen ausgeprägten Personenkult um ihren Führer Prabhakaran pflegen, sehr abrupt enden kann, dürfte Karuna nicht entgangen sein. Nach den Waffenstillstandsverhandlungen in den Jahren 2001 und 2002, an denen er beteiligt war, gab es interne Untersuchungen gegen ihn, weil er dabei Richtlinien verletzt haben soll.
Als sich Oberst Karuna daraufhin mit zahlreichen Kämpfern im Gefolge von den LTTE löste, schwächte dies die Guerillabewegung, auch wenn er seine Bedeutung übertreibt: "Durch meine Abkehr von den Befreiungstigern von Tamil Eelam (LTTE) haben diese 70 Prozent ihrer Kampfkraft verloren", behauptete Vinayagamurthi Muralitharan alias Karuna selbstbewusst im Fernsehinterview mit der BBC Anfang April dieses Jahres. Eine Abspaltung des tamilischen Nordens und Ostens der Insel als unabhängiger Staat Tamil Eelam betrachtet der einstige Sicherheitskoordinator des LTTE-Führers Vellupillai Prabhakaran als unrealistisch und befürwortet eine föderale Lösung des Konflikts zwischen der singhalesischen Mehrheit und der tamilischen Minderheit in Sri Lanka. Karuna kündigte an, mit der neu gegründeten Partei Tamileela Makkal Viduthalaip Puligal (Tamileela Volksbefreiungstiger, TMVP) bei Wahlen auf regionaler und nationaler Ebene antreten zu wollen.
Interviews mit Karuna sind selten, Anfang März veröffentlichte die indische Tageszeitung The Hindu Bilder von ihm bei einer zweitägigen Inspektion seiner TMVP-Kader und Lagebesprechungen mit seinem Führungsstab. In der Region um die östliche Stadt Batticaloa zeichnen sich Erfolge der Streitkräfte Sri Lankas im Kampf gegen die LTTE ab. Den Regierungstruppen gelingt es, von den Tigern teils seit 1997 besetzte Gebiete zu erobern, die früher zum Kommandobereich Karunas gehörten. Die LTTE kritisieren die Kooperation des Militärs mit der TMVP als neuen paramilitärischen Akteur im Bürgerkrieg. Karuna bestreitet dies, doch seine rund 4.000 Kämpfer agieren im Umfeld von Militärstützpunkten und auch die "Heerschau" im März fand in unmittelbarer Nähe einer Kaserne statt. Internationale Beobachter warfen der TMVP wie auch der LTTE wiederholt vor, Kindersoldaten zu rekrutieren.
Vieles spricht für einen innertamilischen Konflikt – die LTTE-Spitze stammt überwiegend aus dem Norden, Karuna dagegen aus dem Osten der Insel. Er wirft der Rebellenführung vor, sie habe "vorrangig die Tamilen im Osten geopfert". Stets betonen Kader der Tamil Tigers, die tamilische Bevölkerung stehe hinter ihrer Organisation. Tatsächlich gehen die verfeindeten Gruppen jedoch gegen Widersacher und Dissidenten sowohl in ihrem Herrschaftsgebiet als auch außerhalb mit Härte vor. Gut ein Drittel der Todesopfer der vergangenen drei Jahre im Osten Sri Lankas dürfte auf das Konto innertamilischer Gewalt gehen.
Vor den Kämpfen und Anschlägen sind inzwischen große Teile der tamilischen Bevölkerung im Osten aus den LTTE-Gebieten geflohen, die meisten leben in Flüchtlingslagern. Fast die Hälfte aller Binnenflüchtlinge ist im Gebiet zwischen den Städten Batticaloa und Trincomalee unterwegs. Keheliya Rambukwella, Regierungssprecher in Colombo, interpretiert dies als politisches Statement: "Die Leute laufen Prabhakaran davon." Teilweise mag das stimmen, aber viele Menschen, die vor den Kämpfen flohen, wurden von der Armee daran gehindert zu ihren Feldern zurückzukehren, um diese noch vor dem Monsun bestellen zu können. Offenbar will die Armee die tamilischen Siedlungsgebiete im Osten und Norden voneinander trennen. Hierfür sprächen zahlreiche Ansiedlungsprojekte in den Gebieten unter Regierungskontrolle, in denen vom Militär Vorzeigedörfer errichtet werden.
Die militärische Eskalation in den vergangenen Monaten führte zu einer steigenden Zahl von Übergriffen auf die Zivilbevölkerung. In den Gebieten unter Regierungskontrolle sollen Todesschwadronen aus Kreisen der Sicherheitskräfte und mit ihnen verbündete Milizen unterwegs sein und in den LTTE-Gebieten lauscht man des Nachts, ob sich Sonderkommandos der Rebellen nähern. Dies erinnert an die Zeiten des offenen Bürgerkrieges und trägt zur Einschüchterung der Bevölkerung bei.
Am 28. Juni zeichnete Mahanama Tilakeratne, der 2006 von Präsident Mahinda Rajapakse zum Vorsitzenden der Special Commission on Disappearances berufen wurde, ein düsteres Bild der Menschenrechtslage. Zwischen September 2006 und Februar 2007 seien 2.020 "Verschwundene" gezählt worden, 886 Fälle seien bislang ungeklärt, da sich dies für die lokale Justiz äußerst schwierig gestalte. Mehr als 430 Tote, mehrheitlich Tamilen, seien in diesem Zeitraum zu beklagen.
Nach Entführungen und Verhaftungen von Schülern und Studenten spitzte sich die Lage in Jaffna zu. Anfang Mai drangen bewaffnete Milizionäre auf dem Campus der Universität ein und zerstörten Fototafeln, die an im Bürgerkrieg getötete Studenten erinnerten Aus Protest gegen Entführungen und Übergriffe organisierten Studenten einen Solidaritätsstreik. Daraufhin tauchten in der Nähe des Universitätscampus Todeslisten mit den Namen von 323 Menschen auf, die diesen terroristische Betätigungen für die Tamil Tigers vorwarfen und ihre baldige Exekution ankündigten. Die in Colombo erscheinende englischsprachige Tageszeitung Lanka News zitierte am 15. Mai einen Militärbericht, in dem die Universität Jaffna wiederholt als eine der Brutstätten für terroristische Gewalt bezeichnet wird.
Die Situation in der Stadt hat sich seitdem kaum entspannt, nach Berichten von Menschenrechtsaktivisten kommt es weiterhin zu Übergriffen, Bedrohungen und Verschleppungen, wobei insbesondere das Militär, welches vor Ort auch polizeiliche Aufgaben wahrnimmt, wiederholt als Akteur genannt wird.
Große Teile der leidtragenden Zivilbevölkerung im Norden und Osten der Insel versuchen, aus der Kampfzone zu fliehen. Artilleriegefechte und Bombardements der srilankischen Luftwaffe gegen mutmaßliche Stellungen der LTTE lösten in den umkämpften Gebieten seit März einen Flüchtlingsstrom von mehr als 160.000 Tamilen aus. Damit gibt es in Sri Lanka wieder 300.000 Binnenflüchtlinge, teilte das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) im April mit. Insgesamt kann nach 24 Bürgerkriegsjahren von fast einer Million Flüchtlingen ausgegangen werden. Vermehrt suchen die Menschen Schutz im Ausland, entweder bei Verwandten in der tamilischen Diaspora weltweit – sofern es ihnen gelingt, Einreisevisa zu bekommen – oder auf eigene Faust auf dem Seeweg über die Meerenge der Palk Straits nach Indien.
Angesichts der wachsenden Zahl von Bootsflüchtlingen gleichen die Bilder von der Küste des südindischen Unionsstaats Tamil Nadu denen vor den Kanarischen Inseln. Indische Behörden und das UNHCR warnen die Menschen vor Schlepperbanden – mit mäßigem Erfolg. Rund 18.000 Flüchtlinge landeten seit Anfang 2006 in Indien an, wo derzeit 72.000 Menschen in 120 Flüchtlingslagern leben und weitere 22.000 Flüchtlinge außerhalb der Lager registriert sind.
Da die LTTE in Indien ebenfalls verboten sind, werden alle Neuankömmlinge erkennungsdienstlich erfasst und von den indischen Sicherheitsbehörden befragt. Insbesondere junge Männer werden in Sonderlagern interniert, da bei ihnen Verbindungen zu den Tamil Tigers vermutet werden. Diese Einrichtungen seien eigentlich Gefängnisse, zitiert die BBC am 4. Juni Professor Gladstone Xavier, der als Sozialarbeiter in den Lagern arbeitet: "Die Insassen dürfen die Lager nicht verlassen […] es sei denn, sie reisen aus." Die Situation in den "normalen" Flüchtlingslagern ist ebenfalls starken Reglements unterworfen. Die Bewohner dürfen die Lager tagsüber verlassen, jedoch keiner Erwerbsarbeit nachgehen und die hygienischen Bedingungen sind vielerorts aufgrund der Überfüllung der Lager schlecht.
Am 7. Juni wurden im Rahmen einer großangelegten Polizeiaktion 376 Tamilen, meist Bewohner preisgünstiger Gasthäuser in Colombo, aus der Hauptstadt in den Norden und Osten Sri Lankas verbracht. Kurz zuvor hatte Victor Perera, Generalinspektor der Polizei Sri Lankas, verkündet, dass Tamilen ohne plausiblen Aufenthaltsgrund nicht in Colombo bleiben dürften, da sie eine Bedrohung für die nationale Sicherheit darstellten.
Ein Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen protestierte gegen den "Beginn ethnischer Säuberungen". Die Botschafter der USA und Norwegen sowie Vertreter der EU verurteilten den Polizeieinsatz. Ranil Wickremasinghe, Führer der oppositionellen United National Party (UNP) und ehemaliger Premierminister Sri Lankas, bezeichnete die Zwangsrückführungen als illegal. Im Parlament kam es bei einer Sondersitzung zum Eklat, als sich ein tamilischer Abgeordneter der UNP wutentbrannt entblößte. Der Oberste Gerichtshof stoppte nach einer Grundsatzklage des Centre for Policy Alternatives (CPA) den Polizeieinsatz. Allerdings nur ein Teil der "Abgeschobenen" wurde zurück nach Colombo gebracht. Präsident Rajapakse bemühte sich um Schadensbegrenzung, indem er der Polizei vorwarf, eigenmächtig gehandelt zu haben. Pikanterweise deckte der Sunday Leader in einem Zeitungsartikel am 10. Juni auf, dass die Aktion am 31. Mai bei einer Sitzung unter Vorsitz Gotabaya Rajapakses, Verteidigungssekretär und Bruder des Präsidenten, beschlossen worden sei.
Die Regierungskoalition unter Führung der Sri Lanka Freedom Party (SLFP) sieht sich trotz geschickter politischer Winkelzüge und militärischer Erfolge einer erstarkenden Opposition gegenüber. Korruptionsskandale und steigende Inflation der srilankischen Rupie lassen die Popularität der Regierung sinken. Die vorrangig im Inselsüden verankerten singhalesisch-nationalistischen Kräfte der Janatha Vimukthi Peramuna (Volksbefreiungsfront, JVP) laufen gegen die vorherrschenden Politikereliten aus dem Westen der Insel in den Reihen der SLFP und UNP Sturm. Sie lassen keine Gelegenheit aus, gegen Wirtschaftsreformen zu protestieren und fordern ein noch härteres Vorgehen gegen die "tamilischen Terroristen".
Anfang Februar kam es zu einem Zerwürfnis innerhalb der Regierung. Die Minister Mangala Samaraweera, Sripathi Sooriyarachchi und Anura Bandaranaike wurden entlassen. Insbesondere Samaraweera, der 2005 als Wahlkampfleiter der SLFP maßgeblich zu Rajapakses Sieg beigetragen hatte, war zuvor schon des Öfteren durch Kritik an der Regierungspraxis Rajapakses aufgefallen. Als ihm im Januar das Amt des Außenministers entzogen wurde, ihm aber der Posten als Hafen- und Luftfahrtsminister blieb, schien der Konflikt unausweichlich. Einzig Bandaranaike, Bruder der ehemaligen Präsidentin Chandrika Kumaratunga, kehrte wenige Wochen später in die Regierung zurück. Die beiden anderen Politiker spalteten sich jedoch von der SLFP ab und umwerben seitdem gezielt weitere Parlamentarier. Die von ihnen gegründete Sri Lanka Freedom Party (Mahajana), benannt nach Samaraweeras Vater Mahajana, seinerzeit ein bekannter Minister, ging am 19. Juli ein Bündnis mit der oppositionellen UNP ein. Gemeinsam streben sie als National Congress Neuwahlen an. Am 26. Juli folgten rund 100.000 Menschen einem Protestaufruf der Allianz und brachten das öffentliche Leben in der Hauptstadt zum Erliegen.
Inwieweit die Tokio-Gebergruppe (EU, Japan, Norwegen, USA) noch Einfluss auf den Konflikt nehmen kann, ist fraglich, zumal innerhalb der Gruppe die Positionen divergieren. Die für den Wiederaufbau in Aussicht gestellte Friedensdividende von rund 3,5 Milliarden Euro scheint die Konfliktparteien momentan nicht von ihrem Konfrontationskurs abzubringen. Aus Sicht der LTTE haben die USA und die EU mit ihren Verboten der Organisation an Glaubwürdigkeit verloren. Zeitgleich mehren sich die Anzeichen, dass die Regionalmacht Indien verstärkt hinter den Kulissen aktiv wird.
Einheimische und ausländische Akteure im Bereich der zivilen Konfliktbearbeitung und andere NGOs sehen sich zunehmend mit Drohungen und Schmähartikeln gegen ihre Mitarbeiter konfrontiert, hierbei tun sich singhalesisch-nationalistische Kräfte besonders hervor. Übergriffe auf tamilische Journalisten häufen sich. Landesweit nimmt jedoch auch die Gefährdung durch Anschläge der Tamil Tigers zu.
Sri Lankas Präsident Mahinda Rajapakse signalisiert aus einer Position der zunehmenden militärischen Stärke einerseits Gesprächsbereitschaft – unter von der Regierung definierten Vorraussetzungen – betont aber anderseits deutlich die "Einheit der Nation", was beides für die LTTE unakzeptabel sein dürfte. Doch ein Kompromiss mit der Guerillaorganisation scheint gar nicht mehr erwünscht zu sein, zum neuen Repräsentanten der Tamilen könnte aus Sicht Colombos Karuna gemacht werden. Angesichts des wachsenden innenpolitischen Drucks setzt die Regierung auf nationalen Populismus und Beibehaltung des militärischen Kurses. Eine weitere Eskalation des Konflikts scheint derzeit unabwendbar.
Quelle: Der Text beruht in großen Teilen auf dem Artikel "Bürgerkrieg reloaded" des Autors, erschienen in der Zeitschrift SÜDASIEN, Nr. 3/2007.
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