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"Asian-African Heritage" (Asiatisch-afrikanisches Erbe) hieß eine Ausstellung im kenianischen Nationalmuseum in Nairobi im Jahr 2000. Sie war ein Renner. Nicht nur indischstämmige Kenianer, auch schwarze Afrikaner kamen massenhaft. Seither wird darüber debattiert, in einem zusätzlichen Flügel des Museums eine Dauerausstellung einzurichten, um Geschichte und Kultur der "43. Volksgruppe", wie die Nachfahren von Einwanderern aus Südasien in Kenia oft genannt werden, zu dokumentieren.
Die Republik Indien gewährt diesen Menschen auf Antrag die Staatsbürgerschaft. Aber obwohl viele noch intensiven Kontakt zur Heimat ihrer Vorfahren pflegen, sind die Afrikaner mit ethnischen Wurzeln in Indien oder Pakistan zunächst Bürger Kenias, Tansanias, Südafrikas und so weiter. Auf dem gesamten Kontinent leben in Enklaven Menschen vom indischen Subkontinent.
Sultan Somjee, Akbar Hussein, Rajiv Shah sind sehr unterschiedliche Männer. In ihrer Heimat Kenia gelten alle drei aber schlicht als "Muhindi", was "Hindu" bedeutet und im Wortsinne falsch ist. Wie ihre Namen nahelegen, sind Somjee und Hussein in Wirklichkeit Muslime, sie gehören der ismailitischen Richtung des Aga Khan an. Somjee ist zudem Bohra. Dieser Spitzname und stammt von bwahir (Händler) ab. Bohras kamen schon früh nach Kenia, erste Kontakte lassen sich bis 1750 verfolgen. Rajiv Shah ist streng genommen auch kein Hindu. Er gehört den Jains an, einer separaten indischen Glaubensgemeinschaft, deren Lehre der rigorosen Gewaltlosigkeit unter anderen Mahatma Gandhi prägte.
Somjee organisierte die "Asian-African Heritage" Austellung. Er meint, es sei wichtig, die eigenen Wurzeln nicht zu vergessen. "Aber wir sind Kenianer", betont er. Der Fotograf Akbar Hussein vergrößerte Motive aus Familienalben und Rajiv Shah steuerte alte Buchhaltungsakten aus dem Familiengeschäft bei. Die Ausstellung behandelte das Arbeitsleben, die soziale Welt und das intellektuelle Erbe der Einwanderer. Sie zielte darauf ab, klarzustellen, dass die Nachfahren zu Recht einen Platz in der afrikanischen Gesellschaft beanspruchen.
Ende des 19. Jahrhunderts brachten die Briten mehr als 30.000 indische Arbeiter – "Coulis" genannt – nach Ostafrika. Sie bauten ohne Maschineneinsatz eine 931 Kilometer lange Eisenbahnlinie mit Tunneln und Brücken von Mombasa bis Kampala.
"Auf jeder Meile starben vier Männer", berichtet Sultan Somjee. Zeitweilig wilderten sogar Löwen unter den Bahnarbeitern, was vor einigen Jahren in einem Hollywood-Film thematisiert wurde. Dennoch entschieden sich fast 7.000 Coulis später, in Kenia zu bleiben.
Die Stadt Nairobi entstand während des Eisenbahnbaus. Indischstämmige Handwerker, Architekten und Händler spielten dabei eine wichtige Rolle. Migranten kommen nie nur als Arbeitskräfte, sie bringen ihre Kultur mit. Das spiegelt sich heute in der Religionsvielfalt Ostafrikas wider: Ismaeliten, Schiiten, Muslims, Sikhs, Parsen und sogar Katholiken aus portugiesischen Kolonien kamen aus Südasien nach Afrika.
Ihr Einfluss ist bis heute im Alltag offensichtlich. Chapati (Fladenbrot), Chai (Tee), Samosa (Gemüse- oder Fleischsnacks) und Bhajia (frittierte Kräuterkartoffelscheiben) sind aus der kenianischen Küche nicht wegzudenken. Sogar das nationale Motto Kenias "Harambee!" (zusammen an einem Strang ziehen) hat indische Wurzeln – und zwar in der Verehrung der Hindu-Göttin Hari Amba.
Ökonomisch ist die indischstämmige Minderheit, die in Kenia ungefähr ein Prozent der Bevölkerung ausmacht, sehr bedeutend. Rajiv Shahs Vater startete einen kleinen Laden, wirtschaftete sparsam und legte den Grundstein für den Wohlstand seiner Nachfahren. Für sie ist heute ein Studium an der renommierten London School of Economics nichts Ungewöhnliches. Diese Familienhistorie ist kein Einzelfall, viele Einwanderer waren ökonomisch sehr erfolgreich.
Das hat mit ihrem Kasten- und Familiensystem zu tun, aber auch mit ihrer Genügsamkeit. Kam ein Neuling aus Indien in einer britischen Kolonie in Afrika an, unterstützte ihn seine Gemeinschaft mit einem zinslosen Kredit, damit er sich etablieren konnte. Viele indische Sippen, vor allem die Shahs und die Patels, sind sehr reich geworden. Es heißt in Nairobi, 10.000 Shahs glichen 10.000 Millionären. Über das in ganz Asien verbreitete Hawala-System informeller Geldtransfers unterstützten sich Verwandte traditionell auch über große Entfernungen und sogar Landesgrenzen hinweg. Manche bezeichnen die Indoafrikaner auch als "Juden Ostafrikas".
Mit Ausnahme der Muslime heiraten Indoafrikaner normalerweise nur Angehörige ihrer jeweiligen Kasten. Die Vermittlung von Ehepartnern aus oder nach Indien – oder vielleicht auch London – ist zwar die Ausnahme, aber bis heute nicht außergewöhnlich. Früher mussten alle Familienmitglieder im gemeinsamen Unternehmen mitarbeiten, und es wurde kein Geld verprasst. Heute hat sich das geändert, viele der jüngeren Generation fahren teure Autos und besuchen schicke Restaurants. Das unterscheidet sie aber nicht von anderen neuen Mittel- und Oberschichten in Afrika.
Die Industrialisierung Kenias ist großenteils aus Asien zugewanderten Familien zu verdanken. Zwei wichtige Tageszeitungen in Nairobi, The East African Standard und The Daily Nation, existieren dank der Starthilfe indischstämmiger Menschen. Als Investoren, Manager und Juristen spielt diese Minderheit eine wichtige, wenn nicht sogar dominierende Rolle.
Die Kehrseite des Erfolgs ist: Einflussreiche Politiker in Afrika beschimpfen indischstämmige Sippen in Hasstiraden als "Ausbeuter der Nation". Vor jeder Wahlperiode in Kenia graut es den Indo-Kenianern. Sie formen dann Bürgerwehren, die zusammen mit Polizisten Streife fahren. Die Inder stellen Autos und Funkgeräte, die Polizisten die Waffen. Während jedes Wahlkampfs werden indischstämmige Geschäftsleute ermordet. Das seien Parasiten, die Korruption initiierten und das Land ausbeuteten, heißt es dann. Zwar ist unleugbar, dass auch immer Indischstämmige in Bestechungsopfer verwickelt sind, die Mehrheit der korrupten Politiker und Mittelsmänner in den Skandalen ist jedoch immer schwarzafrikanisch.
Im Uganda der siebziger Jahre organisierte Diktator Idi Amin regelrechte Pogrome und vertrieb die indischstämmige Bevölkerung. Der heutige Staatspräsident, Yoweri Museveni, lud ehemalige Indo-Ugander zur Rückkehr ein. Ihm ist klar, dass sein Land deren wirtschaftliches Potenzial gut gebrauchen könnte. Gehör fand er nur bei etwa zehn Prozent. Die anderen hatten längst anderswo, beispielsweise in Großbritannien, Wurzeln geschlagen. Obendrein fürchteten sie neuerliche Verfolgung in Afrika.
Dass die Akzeptanz der Indischstämmigen bis heute kaum vorangekommen ist, zeigten jüngst Vorfälle in Kampala. Im April gab es Demonstrationen gegen Pläne der indo-ungandischen Zuckerfirma Mehta Group, die ihr Betriebsgelände in einen angrenzenden Wald ausweiten wollte. Umweltschützer protestierten dagegen, plötzlich brach Gewalt aus. Demonstranten steinigten einen zufällig auf dem Motorrad vorbeifahrenden Indo-Afrikaner zu Tode. Anschließend wurden ein hinduistischer Tempel, eine Filiale der indischen Bank of Baroda und Geschäfte asiatischstämmiger Eigentümer angegriffen. Polizisten befreiten schließlich vierzig Hindus aus dem Tempel.
Indo-Afrikaner legen deshalb großen Wert auf den Beitrag, den sie zur politischen Geschichte Afrikas gespielt haben. Mahatma Gandhi war nicht nur der Vater des unabhängigen Indiens, er gehörte auch zu den Gründern des African National Congress, der heutigen Regierungspartei Südafrikas.
Ähnlich war in Kenia der Immigrant Markan Singh an der Gründung des East African Trade Union Congress beteiligt. Er verbrachte später Jahre seines Lebens im Gefängnis, weil er sich für die Unabhänigkeit seiner Wahlheimat engagiert hatte. Indischstämmige Kenianer kämpften an der Seite der Mau-Mau gegen die britischen Kolonialherren, und die Rechtsanwälte A.R. Kapila, Fitz de Souza und Jaswant Singh verteidigten als führende Köpfe des Mau-Mau-Aufstandes verurteilte Afrikaner.
Es gibt viele Beispiele von Indern oder Abkömmlingen indo-afrikanischer Familien, die sich mit Leib und Seele für den Freiheitskampf einsetzten. Manche von ihnen verloren ihr Leben oder wurden lange eingekerkert. Dennoch betrachtet die schwarze Mehrheit in allen erwähnten Ländern seit Generationen ansässige Immigranten weiterhin als Fremde.
Der indischstämmige, in Trinidad aufgewachsene Literatur-Nobelpreisträger V. S. Naipaul beschreibt in seinem Buch "An der Biegung des großen Flusses" (A Bend in the River) das Leben der indischen Bevölkerung im damaligen Zaire, der heutigen Demokratischen Republik Kongo: Am Beispiel von Salim, der in Kisangani seinen Laden durch die Afrikanisierungspolitik des Diktators Mobutu Sese Seko verlor, wird die Problematik "Inder in Afrika" aufgezeigt. Mobutu verschenkte den Besitz von Weißen und Indern an seine Günstlinge. Einstige Ladenbesitzer wurde gezwungen, als Helfer in ihren eigenen Läden mitzuarbeiten. Als alle Vorräte aufgebraucht waren, verlangten die Anhänger des Diktators Mobutu auch noch, dass die Inder von ihrem Restvermögen die Auffrischung der Vorräte bezahlten sollten. Solche Geschehnisse führten dazu, dass die einst so reiche und florierende Wirtschaft des Kongos nach der Unabhängigkeit elend zugrunde ging. Heute dominieren Libanesen den Handel im weiterhin fragilen Krisenstaat.
Doch Inder sind im Kongo auch wieder präsent. Zusammen mit Bangladesch und Pakistan stellt Indien die Mehrheit der 18.000 Blauhelmsoldaten der UN-Friedensmission MONUC (Mission de l’ONU en RD Congo). Die Regierung in Delhi unterstreicht mit solchem Engagement für die Vereinten Nationen, dass sie auf der Weltbühne mitspielt. Sie setzt ihre Truppen nicht für Eroberungszüge ein – lässt aber keinen Zweifel daran, dass sie bei globalen Themen mitreden will.
Seit einigen Jahren bemüht sich Delhi auch um systematischen Kontakt zur ökonomisch einflussreichen indo-afrikanischen Diaspora – doch bisher sind deren Beziehungen in die alte Heimat vor allem verwandschaftlicher Art. Instrumentalisieren lassen wird sich diese selbstbewusste Minderheit nicht. Ihr ist klar, was das für ihr Ansehen in Afrika bedeuten könnte. Doch selbstverständlich werden sich geschäftstüchtige Menschen auch auf formelle Kooperation mit der Heimat der Vorfahren einlassen, wenn ihnen das Vorteile bringt.
Quelle: Der Artikel erschien im Orginal in: E+Z Zeitschrift für Entwicklung und Zusammenarbeit 6/2007, S. 245 - 247.
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