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14. Juni 2007. Analysen: Politik & Recht - Pakistan Pakistanisches Machtpoker

Gegen den pakistanischen Staatspräsidenten General Musharraf formiert sich erstarkender Widerstand aus verschiedensten Lagern

Pakistan ist in Aufruhr: "Go, Musharraf, go!" skandieren Demonstranten seit Mitte März bei landesweiten Protestkundgebungen. Puppen mit dem Konterfei des Präsidenten werden verbrannt, vielerorts schreitet die Polizei nicht mehr ein. In der Hauptstadt Islamabad proben derweil seit Wochen mehrere Hundert bewaffnete Koranschüler den offenen Aufstand gegen den General. "Weder die internationale Gemeinschaft noch das Militär werden das derzeitige Regime noch weiterhin stützen, wenn die Proteste im Land weiter eskalieren", prophezeite Pakistans ehemalige Premierministerin Benazir Bhutto in einem Interview des Londoner Telegraph am 21. Mai.

Fast acht Jahre hat er sich fest im Sattel gehalten, länger als die meisten seiner Vorgänger, doch nun scheint Pervez Musharrafs Macht zusehends zu schwinden. Nach dem Putsch im Oktober 1999 war es ihm mit geschickten Winkelzügen gelungen, sich als politischer Retter in Generalstabsuniform zu präsentieren. Seine zwei größten politischen Kontrahenten konnte er lange Zeit kaltstellen. Sowohl der von ihm abgesetzte Premierminister Nawaz Sharif als auch Benazir Bhutto leben im Exil.

Nicht unbeteiligt an Musharrafs Erfolgen war Iftikhar Chaudhry, Vorsitzender des Obersten Gerichtshofs. Seinerzeit rechtfertigte er den Putsch, bestätigte den Hochverratsvorwurf gegen Sharif und den Haftbefehl wegen Korruptionsvorwürfen gegen Bhutto hielt er ebenfalls aufrecht. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass gerade mit Chaudhry eine populäre Persönlichkeit erwuchs, die in letzten Monaten der Machtpolitik des Präsidenten offen die Stirn zeigte. Der Jurist ordnete die Untersuchungen des ungeklärten Verschwindens von Terrorverdächtigen an und verhinderte die Privatisierung der staatlichen Pakistan Steel Mills aufgrund eines Korruptionsverdachts, der bis in die Reihen des Militärs reichen soll.

Als sich die Gerüchte verstärkten, dass Chaudhry einer weiteren Kandidatur Musharrafs für die Präsidentschaftswahlen bei dessen weiteren Beharrens auf die Position des Oberbefehlshabers nicht zustimmen würde, schien sein Schicksal entschieden. Am 9. März wurde Chaudhry aufgrund von Vorwürfen der Vorteilsnahme im Amt als Obersten Richter suspendiert, da er u.a. seinem Sohn einen hohen Polizeiposten verschafft haben soll. Mit dem am 24. März eingesetzten Rana Bhagwandas errang erstmals ein Hindu den Posten des (amtierenden) Obersten Richters in Pakistan. Bis Anfang Mai stand Chaudhry unter Hausarrest und wurde seiner Schilderung nach von den Sicherheitsbehörden massiv unter Druck gesetzt.

Eigentlich war dieses Abservieren ein typischer machtpolitischer Schachzug, jedoch unterschätzte das Regime die Unzufriedenheit innerhalb der Bevölkerung und den Gemeinschaftssinn der Juristen. Als die Polizei mit Gewalt gegen einen Protestzug von Rechtsanwälten in Islamabad vorging, berichtete die private Fernsehstation Geo TV live davon. Der Sender wurde später selbst Opfer der Staatsgewalt und viele Journalisten der trotz Repressionen verhältnismäßig freien Presse in Pakistan solidarisierten sich. Eine landesweite Protestwelle breitete sich aus. Chaudhry stilisierte sich zum Vorkämpfer für Rechtstaatlichkeit und Verfassungstreue. Ob dies so stimmt, ist für die meisten Pakistaner nicht so wichtig. Für sie zählt vielmehr, dass sich jemand Musharraf entgegenstellt.

Zusätzlich sah sich die Regierung in Islamabad mit anderen Herausforderungen konfrontiert: Koranschülerinnen der in Nähe des Hauptquartiers des Geheimdienstes ISI (Inter-Services Intelligence) gelegenen Roten Moschee (Lal Masjid) starteten einen "Feldzug gegen die Unmoral". Sie verwüsteten Läden, Kinos und illegale Bordelle. Ihre Mitschüler lieferten sich Scharmützel mit der Polizei und verschanzten sich auf dem Gelände der Moschee samt angrenzender Madrassa. Die Sicherheitskräfte in der Hauptstadt widmeten sich fortan mehr diesem Problem als den friedlichen Protesten.

Als Chaudhry am 4. Mai von Islamabad nach Lahore reiste, kam dies einer politischen Wallfahrt gleich. Sein Konvoi benötigte für die Strecke von 260 Kilometern über 25 Stunden. Die meisten oppositionellen Parteien mobilisierten derweil ihre Anhänger im Osten Pakistans. Allerdings kam es aufgrund von Heterogenität und Zerwürfnissen zu getrennten Aufwartungen von Bhuttos Pakistan People’s Party, Sharifs Pakistan Muslim League-Nawaz, der Muttahida Majlis-e-Amal, die eine Allianz der bedeutendsten radikal-islamischen Parteien und insbesondere im Westen des Landes verankert ist, sowie der Partei Pakistan Movement for Justice (Pakistan Tehreek-e-Insaf), die von der Cricket-Legende Imran Khan geführt wird.

Am 12. Mai flog Chaudhry nach Karachi und saß am Flughafen wegen der Straßensperren fest. Derweil konnte live im privaten Fernsehsender Aaj TV verfolgt werden, wie Anhänger der Opposition von Gegendemonstranten des Muttahida Quami Movements (MQM) angegriffen wurden. Die vorrangig in der Provinz Sindh aktive MQM gilt als Musharraf-nah, da sie als Sammelbecken vieler Muhajirs dient, jener vorrangig urdusprachige Migranten und ihrer Nachfahren, die aus Indien nach Pakistan geflohen waren – so wie der 1943 in Delhi geborene Musharraf. Mindestens 45 Menschen starben innerhalb von zwei Tagen, während sich die Polizei zurückhielt. Erst als Paramilitärs in die Hafenstadt einrückten, beruhigte sich die Lage. Rund 800 Menschen wurden verhaftet. Derweil erschossen unbekannte Attentäter in Islamabad einen engen Mitarbeiter Chaudhrys.

Zeitgleich organisierte das Regime eine Kundgebung in der Hauptstadt. Zehntausende Menschen wurden dabei mit Essen und Geldgeschenken bei Laune gehalten – eine in Südasien bei allen Parteien übliche Praxis. Man lauschte einer Rede des Generals, der hinter dickem Panzerglas stand und zufrieden feststellte: "Das Volk ist mit mir!"

Aus Protest gegen die Ereignisse der Vortage riefen die oppositionellen Kräfte am 14. Mai in Lahore einen Generalstreik aus. "Nur eine herzlose, verantwortungslose und unnahbare Regierung kann in Islamabad feiern, während zur selben Zeit Karachi brennt", sagte Asma Jahangir, Vorsitzende der Pakistanischen Menschenrechtskommission, der BBC. Die Regierung regierte ihrerseits umgehend, indem sie landesweit einen spontanen Feiertag ausrief, jegliche Demonstrationen verbot und den öffentlichen Nahverkehr in großen Städten einstellte.

Kundgebungen der Regimegegner finden weiter statt, jedoch ist seit Mitte Mai die nationale Berichterstattung über den Chaudhry-Fall aufgrund eines Medienerlasses eingeschränkt. Bhutto und Sharif kündigten am 21. Mai an, zu den im Herbst fälligen Wahlen heimzukehren. Ein geschlossenes Bündnis zeichnet sich jedoch nicht ab, zu tief sitzt das Misstrauen zwischen beiden Exil-Politikern. Musharraf drohte ihnen umgehend mit sofortiger Verhaftung bei Einreise.

An anderer Front machen radikal-islamische Kräfte unvermindert Druck. Im nahe der afghanischen Grenze gelegenen Peschawar tötete ein Selbstmordattentäter 25 Menschen als "Warnung an alle, die mit den USA kooperieren". Zeitgleich flammen die Kämpfe in den nordwestlichen Unruheregionen wieder auf. In Islamabad spitzt sich die Lage um die Rote Moschee zu: Die Religionsschüler nahmen in Vergeltung für die Verhaftung elf ihrer Gefährten durch die Sicherheitsorgane Mitte Mai mehrere Polizisten als Geiseln. Am 23. Mai ordnete der Präsident Musharraf eine Belagerung des Komplexes durch die Armee an. Tags darauf kamen die verbliebenen zwei Polizisten nach einwöchiger Geiselhaft wieder frei, was die Situation etwas entschärfte. Die Moschee blieb umstellt, weiterhin harren innerhalb der Lal Masjid bewaffnete Freiwillige aus.

Bislang gelang es Musharraf immer wieder, gemäßigte Teile der Gesellschaft und radikale Kräfte gegeneinander auszuspielen – doch nun hat es den Anschein, dass sich viele Akteure nicht mehr auf sein Spiel einlassen wollen. Es ist durchaus zu vermuten, dass er selbst zu einer zu opfernden Spielfigur für andere werden könnte. Der General hat mindestens drei Attentate überlebt. Dass die Opposition zerstritten ist und sich die US-Regierung sich aufgrund seiner Rolle als wichtiger Verbündeter im Anti-Terror-Kampf mit offener Kritik zurück hält, mag ihm etwas Zeit geben. Jedoch führte die Brisanz der politischen Krise in dem atomar bewaffneten Pulverfass Pakistan zu regen Reisetätigkeiten von US-Emissären. Noch bekennen sich trotz lauter werdenden Gerüchten ranghohe pakistanische Militärs als auch Führungskreise der Geheimdienste zu Musharraf, da er bisher als Garant für ihre Privilegien im Staat gilt. Doch der wachsende Zorn vieler Pakistaner in den Straßen und Moscheen des Landes, der sich besonders auf General Musharraf abzielt, dürfte ihnen nicht entgangen sein.

Quellen

Ahmad, Naveed: Musharraf: Crisis gone too far, in: Security Watch / ISN –ETH Zurich, 21.5.2007

Alam, Masud: Blood and batons spur Pakistan row, in: BBC News, 17.3.2007

Ansari, Massoud; Freeman, Colin: Bhutto to risk jail and return to Pakistan, in: Telegraph, 21.5.2007

Bärthlein, Thomas: Pakistan im Chaos, Deutsche Welle/ DW-World, 14.5.2007

BBC News: Musharraf rules out mosque raid, 23.5.2007

BBC News: Police freed from Pakistan mosque, 24.5.2007

Dutt, Vijay: Benazir ignores Musharraf’s warning, says she will return, in: Hindustan Times, 20.5.2007

Grammaticas, Damian: Pakistan’s political battleground, in: BBC News, 19.5.2007

Iqbal, Anwar: Re-election by new assemblies, hopes US: Musharraf should 'put aside the uniform', in: Dawn, 13.6.2007

Khan, Rina Saeed: On a justice yatra, in: Dawn Magazine, 20.5.2007

Mumtaz, Ashraf: PPP not to attend MMA’s conference, in: Dawn, 20.5.2007

Plate, Christoph: Musharrafs Zeit läuft ab, in: Neue Zürcher Zeitung, 5.6.2007

Terzieff, Juliette: Pakistan’s Musharraf Faces Biggest Challenge to His Rule Yet, in: World Politics Review, 18.5.2007

The Economist: Time to cut a deal, 19.5.2007

Ziauddin, M.: Benazir, Nawaz ask Musharraf to quit, in: Dawn, 21.5.2007

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