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Im Folgenden soll skizziert werden wann und über welche Wege die vom Propheten Muhammad im siebten nachchristlichen Jahrhundert verkündete Religion nach Indien gelangte. Wie konnten sich Muslime fernab der weithin als islamische Kernländer geltenden arabischen Region behaupten, bzw. wie sah konkret ihr Zusammenleben mit den Anhängern anderer Religionsgemeinschaften aus?
Die Verbreitung des Islam wird auf dem Subkontinent oftmals in Verbindung mit einem gewaltsamen Eindringen muslimischer Eroberer beschrieben (Vgl. Renz 1977: 651).
Die weitgehende militärische Ebenbürtigkeit der hiesigen Völker, aber auch die zahlenmäßige Unterlegenheit dürfte die 711 n. Chr. in den heutigen Sindh und entlang des Indus in Teile des Punjab erstmals vorgedrungenen arabischen Truppen unter Führung von Muhammad ibn al-Qasim an einem tieferen Vorstoß in den Subkontinent gehindert haben. Einzelne eroberte Gebiete konnten nur vorübergehend gehalten werden, und anfänglich blieb nur der Bereich des unteren Indus unter islamischen Einfluss.
Etwa zeitgleich erreichten muslimische Seefahrer und Händler mit ihren Segelbooten die südliche Westküste - Gebiete im heutigen Kerala. Dort breitete sich der Islam keinesfalls in Verbindung mit militärischen Expansionen aus. Die Nachfahren dieser arabischen Seefahrer gelten unter den Namen Moplahs/Mapillas als eine der ältesten muslimischen Gruppen des Subkontinents.
Der ursprünglich von der arabischen Halbinsel ausgehende Islam wurde aber in den folgenden Jahrhunderten wesentlich stärker von Nicht-Arabern nach Südasien getragen: Vor allem über die Pässe im Nordwesten kamen muslimischen Eroberer aus Zentralasien (Turkvölker), Afghanistan und Persien.
Im Gefolge dieser Völker erreichten verschiedene islamische Strömungen, darunter die Mystik, und Sekten Indien. In einem Prozess, der mehrere Jahrhunderte andauerte, verband sich der Islam mit den vorherrschenden religiösen Praktiken und lokalen Bräuchen, die unter dem Begriff Hinduismus zusammengefasst werden. Vor allem Spiritualität, Toleranz und Weisheit von Gelehrten (beispielsweise Al-Beruni im 11. Jh.) und Mystikern (Sufis wie Muinuddin Chishti im 12. Jh.) 1 veranlassten viele Menschen, sich dem Islam zuzuwenden.
Im Osten, in Bengalen, setzte dieser Prozess mit deutlich synkretistischen Merkmalen seit dem 13. Jahrhundert ein. Auch dort spielte der mystisch orientierte Sufismus eine erhebliche Rolle, der oftmals von reisenden Sufimeistern und -orden verbreitet wurde.
Somit wird deutlich, dass sich die Ausbreitung des Islam in Indien weitaus vielgestaltiger vollzog, als es verkürzte Darstellungen über "gewaltsame Bekehrungen" von Einheimischen suggerieren.
Die skizzierte Entwicklung soll keineswegs darüber hinwegtäuschen, dass sich die Herrscher des Sultanats von Delhi (1206-1526) oder des Mogulreichs (1526-1857) über die nordwestlichen Pässe - vor allem den Khaiberpass von Afghanistan aus - durchaus gewaltsam Zugang zum Subkontinent verschafften. Dort übten verschiedene Dynastien über sechs Jahrhunderte in weiten Teilen des Nordens, also im heutigen Pakistan, Indien und Bangladesch und lange Zeit auch über weite Teile Mittelindiens (dem Dekkan) ihre Macht aus.
Diese Herrscher verfügten über familiäre Verbindungen nach West- und Zentralasien und sprachen kaum indische Mundarten. Insgesamt befürworteten sie unterschiedlich stark einen Austausch oder eine Vermischung mit der einheimischen Bevölkerung und Kultur, die aber tendenziell geringer geschätzt wurde (Schimmel 1984; Weiß [u.a.] 1996:2ff). Dennoch adoptierten sie lokale Errungenschaften - beispielsweise mathematische, astrologische und architektonische - oder wurden zumindest stark von ihnen beeinflusst.
Wie zuvor die Araber im Sindh, sahen die Sultane von Delhi und später die Mogulherrscher überwiegend davon ab, einheimische Nicht-Muslime, also Hindus und Anhänger anderer Religionsgruppen zu bekehren oder zu töten. Orthodoxer Interpretation islamischer Rechtsquellen zufolge waren sie gleichwohl dazu berechtigt, weil die Mehrzahl der Einheimischen keine Leute des Buchs waren (Arabisch: ahl al-kitab), also keiner monotheistischen Religion angehörten. Streng genommen standen sie mit ihren vielen Göttern geradezu exemplarisch für den im Koran abgelehnten Polytheismus und den Götzendienst. Insofern hätten sie als Ungläubige (Arabisch: kafir) betrachten werden müssen. Vor allem die zahlenmäßige Unterlegenheit der Invasoren dürfte ein plausibler Grund für eine friedlichere Vorgehensweise gewesen sein. Die frühen muslimischen Herrscher erhoben eine Steuer für Andersgläubige (Arabisch: jizya), die somit als "Schutzbefohlene" (Arabisch: dhimmis) und nicht als Kafir betrachtet wurden. 2 Aufgrund unterschiedlicher (religiöser und) politischer Auffassungen gingen die Herrscher beim Umgang mit den einheimischen nicht-Muslimen teilweise vollkommen gegensätzlich vor. Das spiegelte sich auch immer wieder in ihren Auseinandersetzungen untereinander wider.
Eine kulturelle Verschmelzung zwischen Herrschern und Beherrschten blieb in der frühen Zeit eine Ausnahme (Weiß [u.a.] 1996). Während die dörfliche Kultur weitgehend unberührt vom Islam blieb, wurden vor allem Städte von der neuen Religion geprägt. Dort bedienten ausschließlich persisch- oder arabischsprachige Muslime den Verwaltungsapparat. Hindus, die den Islam annahmen, siedelten ebenfalls zumeist in Städten, wo sie, getrennt von den sozial besser gestellten Einwanderern und ihren Nachfahren weiterhin in ihren Gemeinschaften lebten (Schimmel 1984, Weiß 1996).
Der Konfessionswechsel zum Islam war über viele Jahrhunderte eher sozial begründet, wobei die Annahme der neuen Religion keinesfalls gleichbedeutend mit einer sozialen Gleichstellung gegenüber den Invasoren war. Das Konvertieren erwies sich unter muslimischen Herrschern aber als wirtschaftlich aussichtsreich. Zudem war in Anbetracht des hierarchischen Gesellschaftssystems des Hinduismus das Ideal der Gleichheit aller Gläubigen speziell für Hindus niedrigerer Kasten durchaus attraktiv (Ahmed 1997).
Grundlegende gesellschaftliche Änderungen vollzogen sich vor allem in Nordindien mit dem Beginn der Mogulherrschaft. Die Abschaffung der jizya (unter Akbar) und die Öffnung des Verwaltungsapparates für Nicht-Muslime führten zu einer starken Annährung aller Glaubensgemeinschaften (Singh 1990). Die Einordnung dieses Zeitraums als Beginn einer Wechselbeziehung zwischen Majorität und Minorität ist dennoch umstritten. So geht die heutige wissenschaftliche Literatur mehrheitlich davon aus, dass sich die Religionsgemeinschaften gegenseitig verstärkt ergänzten und konzeptualisierten. Zumindest teilweise bildeten sie daher ein kulturelles und sehr "komplexes Ensemble" (vgl. Malik 2000).
Auch die Oberschicht war zu dieser Zeit keinesfalls mehr ausschließlich muslimisch geprägt. Im Gegenteil, durch die zunehmende Größe des islamischen Einflussgebiets (das immerhin von Kabul bis zu den Grenzen des heutigen Birmas reichte) waren die muslimischen Herrscher auf eine Zusammenarbeit mit Nicht-Muslimen angewiesen. Zunehmend wurden auch Hindus als Minister, Berater sowie militärische und administrative Entscheidungsträger eingesetzt. Das zeigt, dass die häufig verwendete Begrifflichkeit einer "muslimischen Ära" in verschiedener Hinsicht irreführend ist, da sie wichtige historische Fakten nicht benennt.
Das trifft in gleicher Weise auf die Darstellung und Interpretation von Kämpfen zwischen muslimischen Herrschern und Hindufürsten zu. Solche Auseinandersetungen fanden mindestens ebenso häufig statt, wie die zwischen muslimischen Fürsten bzw. Hindu Herrschern. Das offenbart vor allem machtpolitische und nicht religiöse Motive (Singh 1990). Dementsprechend ist der Hinweis aufschlussreich, dass bis ins 13. Jahrhundert das Wort Muslim im religiösen Sinn kaum verwendet wurde, sondern zur Unterscheidung von Herkunfts- und Sprachgruppen ausschlaggebend war (Wieland 2000; auch Randeria 1996).
Zu dieser Zeit war der religiöse Einfluss der Sufis und ihrer verschiedenen Orden prägend. Als einer der bedeutendsten Vertreter gilt Muinuddin Chisti, dessen Grabmal in Ajmer noch heute Gläubige verschiedener Religionsgruppen und Länder anzieht. Die sufistischen Vorstellungen überschnitten sich in ihren ausgeprägten Auffassungen zur Vergänglichkeit von Materie, ihrer asketischen Ethik und ihrer mystischen Selbstverleugnung und Hingabe (Liebe) zu Gott oftmals mit hinduistischen Strömungen (Bhakti) jener Zeit. Die Übernahme von Bräuchen, wie etwa die Verehrung islamischer Heiliger durch Hindus oder das Festhalten am Tempelbesuch von Neu-Muslimen, machte es schwierig, religiöse Trennlinien zu definieren. Die volkstümlichen Religionsauffassungen ließen sich nicht scharf voneinander abgrenzen - lokale Sitten und Bräuche ergänzten sich zunehmend. 3
Hinzu kommt, dass die einzelnen Religionsgruppen nicht homogen, sondern damals wie heute eher von interner Differenzierung geprägt waren und sind. Soziale Zusammenhänge, wie beispielsweise die Ausübung gleicher Berufe oder die soziale Stellung, waren also bedeutender als religiöse Gemeinsamkeiten.
Synkretismen existieren bis heute und führten im Diskurs zur Rolle des zweiten Mogulherrschers Akbar (1542-1605) dazu, dessen islamische Identität zu hinterfragen. 4 Das ist im Übrigen auch ein Grund, weshalb Indien aus arabischer Sicht nie als "muslimisches Gebiet" (Arabisch: dar ul-islam) anerkannt wurde (Malik 1997).
Spätere Mogulherrscher (vor allem Shah Jahan und Aurangzeb) besannen sich mehr oder weniger auf eine "islamische Orthodoxie". Deswegen sind die beiden Herrscher auch bis heute Gegenstand zahlreicher Diskussionen und Streitigkeiten unter Historikern, religiösen Rechtsgelehrten und Politikern. Die Herrschaft von Akbar wird beispielsweise als wesentlich "Hindu-freundlicher" interpretiert als die des letzten großen Mogul-Herrschers Aurangzeb (1618-1707). Das führt heute noch dazu, dass die Politiken dieser Herrscher im Nachhinein nicht nur als gegensätzlich gedeutet werden, sondern dass ihre Auslegung oftmals auch Anlass politischer Verstimmungen zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen und - nationalistisch aufgeladen - sogar zwischen Indien und Pakistan ist.
Diese kurze geschichtliche Darstellung soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass Gewalt zwischen Anhängern der unterschiedlichen Religionsgruppen bereits im 14. Jahrhundert stattfand (Jaffrelot 1996). Daher spricht Jaffrelot vor dem Hintergrund der Zusammenstöße zwischen Hindus und Muslimen innerhalb der vergangenen 150 Jahre von einer "alten Größe" im Sinn einer strukturellen Gegebenheit.
Wenngleich sich hinter der religiösen Symbolik oftmals eine Legitimitätssuche von Herrschaftsansprüchen der Mächtigen verbarg, verweisen diese teilweise über 700 Jahre zurückliegenden Konflikte bereits auf den zentralen Rückgriff von Religion als Mittel der Mobilisierung. Ein besonders prägnantes Beispiel ist die Zerstörung eines Shiva-Tempels durch Mahmud von Ghazni 5 (aus Ghazni, im heutigen Afghanistan). Dieser beraubte im 13. Jahrhundert über viele Jahre hinweg in insgesamt 17 Beutezügen mit seinen Truppen Indien (Gandhi 2000:4). Die goldenen Tempelschätze von Somnath auf der Halbinsel Saurashtra im heutigen Unionsstaat Gujarat waren sicherlich ein großer Reiz für Ghazni, den dortigen Tempel zu plündern (Ahmed 1997:35f). Dennoch wird diese Tat heute von hindu-nationalistischer Seite ausschließlich in einem religiösen Zusammenhang bewertet und dient immer wieder als Paradebeispiel für muslimische Missetaten. Dabei wird vielfach bewusst ausgeblendet, dass auch Hindu-Herrscher vergleichbare Raubzüge unternahmen. 6
Obwohl diese Konflikte zwar zumeist handfeste wirtschaftliche Ursachen hatten, wurden sie mit unterschiedlichen Intentionen durchaus schon damals in religiöse Zusammenhänge gestellt (vgl. Wieland 2000:144). Die Spaltung zwischen den Religionsgruppen war meist auf einige weniger tolerante, aber einflussreiche Minderheiten in beiden Gemeinschaften zurückzuführen, die sich letztendlich politisch und ideologisch durchsetzten.
[ 1 ] Der an seinem Grabmal als Hazrat Khwaja Moinuddin Chishti (auch Chishty) im westindischen Ajmer verehrte Sufi-Heilige ist auch unter dem Namen Gharib Nawaz (Schutzherr der Armen) bekannt.
[ 2 ] Ähnlich wurden zuvor die ab 640 christlicher Zeitrechnung in Persien unterworfenen Zoroastrier (Parsen) als "Schriftbesitzern", Christen und Juden, rechtlich gleichgestellt und lebten als dhimmis zumindest religiös zeitweise unbehelligt.
[ 3 ] Während der Mogul-Zeit richtete sich das religiöse Verhalten nicht an den Maßstäben der Scharia aus, die eher als ein konzeptionelles Ideal galt. Die sozio-religiöse Hierarchie bestand vielmehr im religiösen Verhalten [‘proper behaviour’ (arabisch: adab)], oder in der Ober- und Unterklasse (ashraf und ajlaf). Das hierarchische Verständnis orientierte sich eher an einem moralischen Vorstellungsmodel vom Zentrum und seiner Peripherie, bei dem selbst nicht ordentlich oder regelmäßig die Religion praktizierende Menschen nichts desto trotz als muslimische Brüder interpretiert wurden (Falasch 2004).
[ 4 ] Bei seiner philosophischen und religiösen Beschäftigung auf der Suche nach einem "wahren" Glauben verschloss sich Jalaluddin Muhammad Akbar keinesfalls anderen Religionen. Sein aus heutiger Sicht durchaus als Freidenkertum zu bezeichnendes Verhalten brachte ihm von orthodoxer muslimischer Seite Vorwürfe vom Islam abgefallen zu sein ein. Seine religiöse Definition (Din-i-Elahi) blieb nach seinem Versuch diese Glaubendsgrundätze publik zu machen, letzendlich aber sein Privatglaube. Dennoch gelten seine religiöse Toleranz und die annähernde Gleichberechtigung von Muslimen und Hindus als maßgebliches Mittel zur Stabilisierung des Mogulreiches.
[ 5 ] Besonders prekär in dem Zusammenhang ist daher die gleichnamige Bezeichnung für eine pakistanische Mittelstreckenrakete. Im Wettrüsten zwischen den beiden Nachbarländern ist die Namensgebung der konkurrierenden Massenvernichtungsmittel ohnehin gekennzeichnet durch eine semigeschichtliche Metaphorik bzw. Pseudoreligiosität.
[ 6 ] "Incidentally, many Hindu rulers also did the same with temples in enemy-territory long before the Muslims had emerged as a political challenge to these kingdoms. Subhatavarman, the Parmana ruler (1193-1210 A.D.), attacked Gujarat and plundered a large number of Jain temples at Dabhoi and Cambay. Harsha, ruler of Kashmir, […] plundered all the temples in his own kingdom barring four in order to replenish his treasury, and not a word of protest was uttered. And when he needed still more money and enhanced the amount of tribute due from his subordinate feudal lords he was dragged down the streets of Srinagar and was done to death" (Mukhia 1993: 34).
Dieser Beitrag gehört zum Schwerpunkt: Islam in Südasien .
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